Der Rebell
Ich kenne Ians Angehörige nicht. Aber ich weiß, wie nahe sich alle stehen, und es tut mir so leid.«
»Danke. Ich werde es Jennifer ausrichten. Sie ist völlig verzweifelt.«
»Und Ian?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wo er steckt. Haben Sie von ihm gehört?«
»Nein.«
»Vielleicht könnte Ihr Vater ...«
»Er ist nicht mehr Ians Vorgesetzter. Bei Manassas führte er seine Männer in die Schlacht — ohne Ihren Mann. Ein Glück, daß Papa diesen grausigen Kampf überlebt hat . .. Leider weiß er nicht, wohin Ian versetzt wurde.«
Alaina dankte ihr. Inständig hoffte sie auf eine Nachricht, die der bangen Ungewißheit ein Ende bereiten würde.
Wenn er innehielt und lauschte, konnte er sich vorstellen, die Welt wäre unverändert geblieben. Nur das dunkelgrüne Dickicht der Everglades bot den Menschen und Tieren Schutz vor der sengenden Sommerhitze. Er schloß die Augen, hörte den Flügelschlag eines blauen Reihers über dem nahen Wasser, das Rascheln der Blätter in der sanften Brise. Wenn er die Ohren spitzte, so wie er es von seinem Onkel gelernt hatte, hörte er sogar Schlangen durchs Gras gleiten.
»Nun, Major, was halten Sie davon?«
Er öffnete die Augen und wandte sich zu Jake Chicoppee, der nur wenige Schritte entfernt stand und wartete. Seit seiner Kindheit kannte er den Seminolenmischling, der mit seiner Familie ein glückliches Leben im Sumpfgebiet führte. Er war nicht zur US-Army gegangen, gegen die sein Volk vor nicht allzulanger Zeit gekämpft hatte. Aber da er die Sklaverei verabscheute, konnte er den Süden ebensowenig unterstützen. Ian wünschte, sein Onkel würde die gleiche neutrale Haltung einnehmen.
Während er das Terrain sondierte, krampfte sich sein.
Herz schmerzhaft zusammen. Er hatte von Lawrence Malloys Tod erfahren. Nur hier, im entlegenen Sumpf, war er von der Kommunikation abgeschnitten. Ansonsten wurde er sehr schnell über die neuesten Ereignisse informiert, weil er Key West als Hauptstützpunkt benutzte. Dort landeten Schiffe, die nicht nur Vorräte lieferten, sondern auch Nachrichten weiterleiteten. Jetzt lebte er seit einigen Tagen völlig isoliert im Sumpfgebiet. Gemeinsam mit Jake hatte er mitten im feindlichen Territorium ein provisorisches Lager errichtet, auf einem Hügel, der an drei Seiten von Wasser umgeben und an einem Hang mit Kiefern bewachsen war. Hier wollten sie einige Hütten und einen Stall für die Pferde bauen.
»Perfekt«, beantwortete er Jakes Frage. »Übermorgen bringe ich meine Männer hierher, und wir beginnen zu bauen.«
»Warum nicht morgen?«
»Vorher muß ich ein paar persönliche Angelegenheiten regeln.«
Im Schutz der Dunkelheit verließ er die Mangrovenküste, nur mit seinen Breeches bekleidet, und ruderte in einem kleinen Boot nach Belamar. Sobald er sich dem Strand näherte, hörte er einen zornigen Ruf. »Halt, oder ich schieße!«
Jennifers Stimme ...
»Hier ist Ian!« Sein Boot lief im seichten Wasser auf Grund, und er sah sie im Mondlicht stehen, eine Schrotflinte in den Händen. Voller Mitleid betrachtete er seine Kusine. Sie war immer noch schön, aber stark abgemagert, mit bleichen, eingefallenen Wangen. In ihren Augen glühte wilder Haß. Statt eines Kleids trug sie alte Breeches, in der Taille mit einem Strick festgehalten, ein Männerhemd und Stiefel. Ein verbeulter Schlapphut war tief in ihre Stirn gezogen. »Jennifer, ich bin's, Ian!«
»Verdammter Yankee!« schrie sie.
»Ich wollte dich sehen — weil es mir so schrecklich leid
tut.«
»Verschwinde!«
»Diese Insel gehört meiner Frau ...«
»Natürlich kann sie jederzeit hierherkommen. Aber du wirst dieses Ufer nicht betreten, elender Yankee!«
»Bitte, Jennifer, ich bin dein Vetter«, erwiderte er, ignorierte die Waffe, die auf seine Brust zielte, und stieg aus dem Boot in den weichen Schlamm. Als er in ihre schönen, verweinten braunen Augen schaute, entsann er sich, wie liebevoll sie ihn in seiner Kindheit betreut, wie einfühlsam sie Alaina nach Teddys Tod getröstet hatte. Unbeirrt ging er weiter.
»Zurück, Ian, oder ich schieße!«
Er blieb stehen, trat aber noch näher an sie heran und schob nach kurzem Zögern die Schrotflinte einfach beiseite. »Nein, du wirst mich nicht erschießen, weil ich dich liebe — und weil ich mit dir leide.«
Da ließ sie die Flinte fallen und sank schluchzend in seine Arme.
In diesem Augenblick rannten Teela, James und Jerome aus dem Haus.
Entsetzt starrten sie Ian an. Sein Onkel seufzte tief auf. >>Mach, daß
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