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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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haben kann. Die zweite Variante ist wahrscheinlicher, und ich versuche Giovanni einen Tiefgang anzudichten, den er nicht hat.
    Ich warte, bis Sonia ihre letzte Träne verdrückt hat, und rate ihr, ihn bloß zu vergessen, doch sie antwortet nicht und denkt schluchzend laut vor sich hin, als hätte ich mich plötzlich in einen unbesetzten Beichtstuhl verwandelt, wo sie gemütlich vor sich hin grübeln kann: Wie ist es möglich, dass er nichts mehr für sie empfindet, wenn er doch bis vor wenigen Monaten etwas empfunden hat? Ihre verstockte Verzweiflung isteinfach lächerlich. Ich seufze irritiert und merke vorsichtig an, dass er vielleicht gar nicht so verliebt war. Hatte er das nicht auch gesagt? Aber vielleicht sollte ich sie vom Gegenteil überzeugen und ihr sagen, was sie hören will, deswegen ist sie schließlich hier. Und tatsächlich wird gleich vehement gekontert: »Nein, ich bin sicher, letzten Sommer hat es ihm was bedeutet, und wie, aber dann ist diese Schlampe aufgetaucht …« Nichts zu machen, es ist müßig. Ich sage ihr, sie solle es nicht so schwernehmen und die Augen offen halten: Einen besseren fände sie vielleicht nicht, aber genauso einen allemal. Der Witz könnte abgedroschener nicht sein, aber immerhin hört Sonia kurz auf zu weinen. Dann wird sie wieder todernst und stellt mir die Frage, die ich am allerwenigsten hören will: »Du würdest es mir doch sagen, wenn er es bei dir versuchen würde, oder?« Verzweifelt blicken mich ihre großen, wässrigen blauen Augen an. Genervt von ihrer weinerlichen Scheinheiligkeit springe ich vom Bett auf. »Bist du deshalb hier? Um dir darauf eine Antwort abzuholen?« Als sie kapiert, dass sie zu weit gegangen ist, umarmt sie mich. »Entschuldige, entschuldige, entschuldige.« Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Du hast recht, das war blöd. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Du hast recht, diese Sache macht mich völlig kirre. Lass uns das Thema wechseln: Wo warst du heute Morgen?« – »Unterwegs«, antworte ich obenhin. »Alleine?« – »Ja«, lüge ich und bereue es sofort, aber nicht wegen ihr, sondern wegen Gabriele. Das ist nicht fair. Ich wette, wenn ich ihr alles erzählen würde, wäre Giovanni in zwei Sekunden vergessen. »Gabriele war heute auch nicht da«, sagt sie und streckt sich auf dem Bett aus. »Schön für ihn«, gebe ich gespielt gleichgültig zurück und mustere Sonias Gesicht, um zu sehen, ob sie was weiß und mirauf den Zahn fühlen will. Ich traue ihr nicht mehr, wer weiß, was die Klatschbasen einander an dem Morgen erzählt haben, als ich mit Silvia gestritten habe. Vielleicht hat uns jemand zusammen gesehen, und jetzt weiß es die ganze Schule. Plötzlich wird ein kleiner Fehltritt zu einem lästigen Problem. »Das ist echt eine ganz arme Sau«, fährt sie fort. »Hast du mal die Mutter gesehen? Die sieht total scheiße aus, ich glaube, die werden tatsächlich vom Sozialamt betreut. Der Vater ist Alkoholiker, wusstest du das?« Ich antworte nicht, so sehr beschäftigt mich die Frage, ob uns jemand gesehen haben könnte und ob wir drauf und dran sind, zum neuesten Schulklatsch zu werden. Wie konnte ich bloß mit ihm losziehen? Was ist los mit mir? Bei dem Gedanken, dass ich Sonia gerade scheinheilig genannt habe, muss ich fast lachen. Und ich? Ich bin mindestens genauso schlimm.
    Ich kann nicht mehr klar denken, Sonia soll endlich damit aufhören, doch sie redet weiter. »Wie auch immer, du solltest dir einen anderen Platz suchen, wie bist du überhaupt drauf gekommen, dich neben den zu setzen?« Endlich mal ein wahres Wort von ihr. Morgen suche ich mir einen anderen Platz, Gabriele ist es sowieso schnuppe, ob ich neben ihm sitze. Allerdings würde es total bescheuert rüberkommen und ich würde mich noch mieser fühlen. Ich lenke das Thema wieder auf Giovanni, das erscheint mir sicherer, und Sonia beißt an. Noch einmal spult sie alles ab, und ich tue so, als hörte ich zu.
    Als sie eine Stunde später geht, schmeiße ich mich aufs Bett und denke an Gabriele. Vielleicht ist es besser, ich treffe ihn außerhalb der Schule nicht mehr. Ein paar Dinge heute waren schön, aber er ist trotzdem eine harte Nuss, für mich vielleicht gerade zu hart. Inzwischen ist es Abend geworden und ichwerde ruhiger. Nach all dem Gezacker der letzten Stunden erwische ich mich bei der Frage, ob er wohl gerade an mich denkt, und vor allem, was er von mir denkt. Tatsache ist, dass wir uns überhaupt nicht kennen und ich eine Heuchlerin bin.

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