Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
wegfahren, und das noch so kurz vor Weihnachten. Doch ja heißt ja, also haben Claudia und ich ihr beim Packen geholfen, und heute Morgen ist sie aufgebrochen. Ehe sie ins Auto stieg, hat sie mich geküsst und mit tränenfeuchten Augen angesehen, so dass wir schon glaubten, sie würde einen Rückzieher machen. Doch tatsächlich bin ich jetzt ganz allein zu Hause. Nur Rosa schaut jeden Tag vorbei, das hat sie Nonna versprochen, und ich habe nichts dagegen.
    In der Schule wird nur noch über die Prüfungen geredet.Langsam fange auch ich an, über das Danach nachzudenken, darüber, was ich machen soll, was ich werden will. Meine Mutter hat immer für die Uni plädiert, sie meinte, das sei wichtig, doch jetzt, da sie nicht mehr hier bei mir ist, fällt es mir noch schwerer, an die Zukunft zu denken. Ich weiß einfach nicht, mit wem ich darüber reden soll. Natürlich hatten wir schon darüber gesprochen, aber es schien, als bliebe uns noch alle Zeit der Welt. Ein paar Monate vor ihrem Tod hatte sie mich wieder danach gefragt, und ich hatte ihr gesagt, dass ich gern Mathe studieren würde. Lächelnd hatte sie geantwortet: »Sehr gut, du wirst sehen, das macht dir großen Spaß. Du warst schon immer gut in Mathe.« Sie schien froh zu sein und zugleich traurig, denn sie wusste, dass sie meinen Uniabschluss und selbst mein Abi nicht mehr erleben würde. Auf der Uni-Website habe ich mir schon mal die Studienpläne angesehen. Ja, ich glaube, ich mache Mathe, ich will dazu stehen.
    Derweil ignoriert mein wertes Genie mich mehr denn je. In den vergangenen vier Wochen war er, wenn’s hochkommt, zehn Tage in der Schule, und jedes Mal wenn er aufgerufen wurde, hat er keinen Ton gesagt. Vorgestern war er nicht da und heute hat er sich ebenfalls nicht blicken lassen. Als Greci in der dritten Stunde die Liste durchgeht und feststellt, dass er fehlt, fragt er, ob jemand etwas weiß. Sonia dreht sich kurz zu mir um und kichert mit Ilaria. Blöde Kühe. Inzwischen sind sie wie A-Hörnchen und B-Hörnchen, doch das wird nicht lange halten. Früher war ich auch einmal mit Ilaria befreundet, doch ihre Auffassung von Freundschaft ist ziemlich variabel. Sie sucht sich ihre Freundinnen aus wie ihre Klamotten, je nachdem, was ihr gerade in den Kram passt. Doch sie ist das hübscheste Mädel der ganzen Schule, und alle sind hinter ihrher. Wenn man unbedingt jemanden treffen will, dann ist man mit Ilaria auf der sicheren Seite, und Sonia sucht nur eine Gelegenheit, endlich wieder mit Giovanni zu reden.
    Grecis Frage bleibt unbeantwortet, und da ich sowieso alleine bin und nichts vorhabe, beschließe ich, nachmittags ein bisschen Detektiv zu spielen und ihn suchen zu gehen. Eine Entschuldigung habe ich schon, schließlich ist er mein lieber Banknachbar! Wer weiß, vielleicht geht es ihm nicht gut oder er hat die Flinte kurz vorm Abi ins Korn geschmissen. Ersteres erscheint mir wahrscheinlicher. Wenn er beschlossen hätte, hinzuschmeißen, hätte er das schon viel früher getan, und wer weiß, vielleicht ist ihm dieses Abi wichtiger, als wir alle glauben.
    Als Grecis Stunde rum ist, hole ich ihn im Flur ein und sage ihm, dass ich am Nachmittag bei Gabriele vorbeischauen will. Er begleitet mich ins Sekretariat und lässt sich die Adresse geben. Ich sage nichts, obwohl ich weiß, dass Gabriele dort so gut wie gar nicht mehr wohnt. Greci stellt keine Fragen. Er mag ein Loser sein, aber blöd ist er nicht. Er bittet mich lediglich, ihn wissen zu lassen, falls Gabriele krank ist oder es sonst irgendwelche Probleme gibt, und dabei sieht er mich an, als wollte er sichergehen, dass ich kapiert habe, welche Art Probleme er meint. Ich weiß zwar nicht, worauf er anspielt, aber mich würde sowieso nichts mehr wundern. Vom Ermittlungsfieber ergriffen, beschließe ich, nicht gleich zu Petrit, sondern zuerst zu ihm nach Hause zu fahren.
    Ich brauche nicht lang, um zwischen all den identischen Mietshäusern das richtige zu finden. Erleichtert stelle ich fest, dass das Viertel weniger trostlos ist als erwartet. Ich drücke die Klingel, doch niemand reagiert. Als eine Frau aus dem Hauskommt, nutze ich die Gelegenheit und schlüpfe hinein. Auf einem der Türschilder im dritten Stock lese ich seinen Nachnamen. Ich zögere einen Moment, dann drücke ich auf den Knopf. Zwei lange, nachdrückliche Klingeltöne. Genervt öffnet ein dunkelhaariger Mann mit zerfurchtem Gesicht. Als ich mich vorstelle, fragt eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund, wer an der Tür sei.

Weitere Kostenlose Bücher