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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Es ist die Stimme seiner Mutter. »Ich suche Gabriele«, sage ich beklommen, während der Mann mich mustert, »ich bin eine Klassenkameradin.« – »Seit wann hat Gabriele Klassenkameraden?«, gibt der Mann, der sein Vater ist, sarkastisch zurück. Da taucht Gabrieles Mutter auf, schiebt ihn zur Seite und fragt bang: »Du suchst Gabriele? Bist du eine Mitschülerin?« Sie trägt einen karierten Wollrock und einen braunen Pulli mit ausgeleiertem Ausschnitt. Ihr Haar ist zu einem Dutt gebunden, ihr Blick aus dunkelumränderten Augen ist derselbe wie damals in der Schule, traurig und besorgt. Ich sage ihr, die Lehrer hätten mich gebeten, ihm die Hausaufgaben zu bringen. »Bist du seine Freundin?« Sie lächelt matt und wirft dem Mann einen demütigen Blick zu. Ich werde dermaßen rot, dass ein kleines Grinsen in seinem Gesicht aufflackert, doch dann sagt er barsch, Gabriele wohne nicht mehr hier, Nichtstuer seien in diesem Haus unerwünscht. Seine Stimme klingt wie die eines alten Mannes, der sein Leben lang gesoffen und sämtliche Kippen gequalmt hat, die ihm in die Finger kamen, dabei dürfte er höchstens fünfzig sein. Die Augen der Mutter füllen sich mit Tränen. Wenn ich Gabriele sähe, solle ich ihm sagen, dass sie ihn liebhaben. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und sehe zu, wie sie still vor sich hin weint. Plötzlich möchte ich selbst losheulen, doch nicht wegen ihr. Wegen mir. »Gabriele ist volljährig«, sagt der Vaterbarsch, »er kann tun, was er will, und wenn er nicht zur Schule geht, ist das nicht mehr unser Problem.« Doch ich höre schon gar nicht mehr hin, all diese Traurigkeit hat mich angesteckt. Inzwischen ist es mir gleich, weshalb ich hier stehe, alles ist mir gleich. Wieder starre ich die Frau an, sehe ihren erloschenen Blick, als hätte sie etwas verloren, und weiß, nicht sie tut mir leid, sondern ich tue es. Es ist nicht ihre Einsamkeit, die mir Angst macht, sondern meine, und in ihren Augen erkenne ich die meinen, wenn ich mich verloren fühle. Ich nuschele etwas, renne die Treppe hinunter, springe auf den Roller und versuche, mich wieder zu fassen und die Tränen zurückzudrängen. Ich finde mich lächerlich sentimental, aber was soll ich machen. Ich starte den Motor und fahre los. Ich weiß schon, wo es hingehen soll, denn obgleich ich mir tausendmal gesagt habe, dass ich es lassen sollte, will ich ihn wiedersehen. Außerdem hat mich Greci darum gebeten.
    Als ich klingele, ist es Petrit, der mir aufdrückt und die Wohnungstür öffnet. Ich bin wie vom Donner gerührt, denn er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Mittelgroß, blond, himmelblaue Augen und ein hinreißendes Lächeln. Er spricht mit starkem Akzent, doch seine Stimme ist sanft. Er sagt, Gabriele sei in seinem Zimmer, und tritt zur Seite, um mich hereinzulassen. Auf einmal erscheint mir die Wohnung gemütlicher und weniger unpersönlich.
    Gabriele liegt im Dunkeln auf dem Bett. Als ich hereinkomme, knipst er die Nachttischlampe an, stützt sich mühsam auf die Ellenbogen und lässt sich wieder zurückfallen. »Was machst du hier?«, fragt er gereizt. »Ich war gerade in der Nähe und wollte gucken, ob du da bist«, sage ich zögernd. »Du hast dich schon ein Weilchen nicht mehr in der Schule blicken lassen.«Er setzt sich auf und sieht mich ernst an. »Ich komme nicht mehr in die Schule.« Er hat es gesagt. In meinem Magen tut sich ein Abgrund auf. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, soeben habe ich gehört, wovor ich mich, ohne es zu wissen, am meisten gefürchtet habe. »Jetzt hast du den Tisch ganz für dich, freust du dich?« Nein, kein bisschen, denke ich, starre ihn an, suche nach Worten, die nicht blöd und kindisch klingen, und sage dann doch das Allerblödeste. »Und das Abi?« Er verdreht die Augen und lacht los, als wäre es das Lustigste der Welt. »Was soll ich mit dem Abi?« – »Keine Ahnung, vielleicht hast du irgendwann keine Lust mehr, Maurer zu sein und gehst zur Uni«, sage ich und versuche witzig zu klingen. »Ich, zur Uni? Aber klar doch …«, erwidert er bitter. Lahm zucke ich die Achseln. »Ich dachte, einer, der so gut zeichnen kann wie du, könnte studieren …« Ich sage es leise, weil ich weiß, dass er jetzt richtig sauer wird, und tatsächlich wirft er mir einen wütenden Blick zu und schüttelt den Kopf. »Zeichnen, na klar, zeichnen … Weißt du, wie scheißegal mir das ist? Was soll ich damit anfangen? Den ganzen lieben langen Tag vor mich hin zeichnen und mir von anderen

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