Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Selbst in der Schule, wenn ein Lehrer auf ihm herumhackt und irgendjemand mit verletzender Dreistigkeit losgrölt, habe ich ihn nie so gesehen. »Willst du, dass deine Zeichnungen auch eines Tages veröffentlicht werden?«, frage ich, froh über diese ungewohnte Reaktion. »So gut bin ich nicht.« Er greift nach dem Pulli und schlüpft hinein. »Wie willst du das wissen?« – »Man weiß, ob man gut ist oder nicht, so etwas weiß man einfach.« – »Ich finde, du bist gut.« Ich versuche überzeugend zu klingen. »Aber du hast meine Zeichnungen doch noch nie gesehen«, erwidert er belustigt. »Klar habe ich die gesehen, zumindest die, die du dem Kunstlehrer gezeigt hast.« – »Das hat nichts mit zeichnen zu tun, richtig zeichnen ist was anderes. Das, was ich mit in dieSchule gebracht habe, könntest du auch.« Ich pruste los. »Ich? Wenn ich so zeichnen könnte, wäre ich überglücklich. Dann wüsste ich wenigstens, das ich was könnte.« Er wirft mir die Zigaretten zu. »Hör doch auf«, sagt er grinsend, »du verzapfst vielleicht einen Scheiß.« Dann fügt er leise hinzu: »Und weißt noch nicht mal, was du willst.« Ich tue so, als hätte ich es nicht gehört und bleibe auf sicherem Terrain. »Wie auch immer, ich finde, du bist gut, und außerdem hat es Greci auch gesagt.« – »Na, wenn’s Greci gesagt hat, dann ist es ja gut«, sagt er sarkastisch. »Wieso?«, frage ich enttäuscht. »Der ist ein Loser, ein armer Wicht.« – »Und was hat das damit zu tun? Immerhin ist er der Einzige, der dich immer verteidigt.« – »Der ist eine arme Sau«, murmelt er bitter. »Und was lässt dich glauben, dass wir besser sind? Wenn man nur halb so alt ist und in der Schule abhängt, hat man gut reden«, erwidere ich eisig und wundere mich über meine Schlagfertigkeit. »Ich finde nicht, dass Greci ein Loser ist, er hat nur das Pech, ein ernsthafter Mensch in einem Haufen von Witzfiguren zu sein.« Auf einmal bin ich enttäuscht von dem, was er über unseren Lehrer gesagt hat. So ein Arsch, denke ich und stehe wortlos auf.
Er steht ebenfalls auf und zieht sich die Jacke an. »Hast du Hunger?«, fragt er. »Lass uns was essen gehen.« Er lächelt ironisch. »Hinterher hat man doch immer Hunger, oder?« Ich funkele ihn vernichtend an. So ein Blödmann. Er knufft meinen Arm und grinst. »Komm schon, war nur ein Scherz. Du solltest nicht wegen jedem Mist sauer werden, das tut dir nicht gut.« – »Hört, hört!« Ich knuffe ihn zurück. Ich ziehe die Jacke an und tue so, als sei ich noch immer eingeschnappt. Als ich mit dem letzten Knopf fertig bin, nimmt er mich sanft beim Arm und schiebt mich aus dem Zimmer. Im Flur zieht er michan sich und gibt mir einen Kuss, vielleicht der linkische Versuch, den schlechten Witz wieder wettzumachen.
Wir fahren eine Weile herum, ehe wir etwas finden, das ihm zusagt. Seiner Meinung nach werden sämtliche Bars im Zentrum von Arschlöchern betrieben und von stinkreichem Pack frequentiert. Ich überlasse die Entscheidung ihm und lasse mich durch sämtliche Straßen kutschieren, die er kennt. Einbahnstraßen und Fußgängerzonen, wir fahren, als wäre tiefe Nacht und kein Mensch unterwegs, verstoßen gegen sämtliche Verkehrsregeln und kassieren mehrmals lautes Gehupe. Schließlich halten wir an einem der Imbisse an der Landstraße. Gabriele kennt den Besitzer, kaum sind wir da, fangen sie sofort an zu reden. Der Typ sieht mich ein paarmal an, dann murmelt er Gabriele was zu, der mehrmals den Kopf schüttelt; ich höre genau, was er sagt: »Ist nur eine Klassenkameradin«, sonst nichts. Als wir unsere Riesenbrötchen verdrückt haben, die uns der Typ gemacht hat, sehe ich auf die Uhr. Es ist fast Mittag, und ich habe keine Lust mehr, in dieser Bude rumzuhocken, mit Gabriele in einem weißen Plastikstapelstuhl neben mir, der, ohne ein Wort mit mir zu reden, den Autos nachsieht. Als ich ihn was frage, antwortet er einsilbig und scheint ganz von der Straße in Beschlag genommen zu sein. Na bitte, denke ich, der Zauber ist dahin, Caravaggio ist wieder ein Kürbis und ich das unsichtbare Mädchen. »Ich gehe, ich hab keinen Bock mehr, hier abzuhängen.« Ohne die Antwort abzuwarten, gehe ich zum Roller. »Okay«, höre ich ihn sagen, »mach’s gut«, und bin einigermaßen angepisst, weil er rein gar nichts unternimmt, um mich zurückzuhalten. Als ich auf den Roller steige, sieht er kurz zu mir herüber, dann starrt er wiederauf die Straße. Mach’s selber gut, denke ich, und starte
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