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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu wechseln oder demonstrativ zu seufzen, doch ohne Erfolg. Ich denke an Gabriele, frage mich, ob er vielleicht beschlossen hat, wieder zur Schule zu kommen und wenn ja, was er wohl dachte, als er mich nicht angetroffen hat. Während Sonia redet, male ich mir eine melodramatische Filmszene aus: Er betritt die Klasse, sieht mich nicht, denkt, zwischen uns sei es endgültig aus, und leidet wie ein Hund. Die Sache ist dermaßen abwegig, das ich fast lospruste. Offenbar habe ich zu viele Filme gesehen.
    Endlich ist es Mittag, und ich beschließe, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Wir gehen gerade die Hauptstraße rauf, als ich Gabriele mit einem anderen Jungen auf uns zukommen sehe. Da ist er, der verlorene Sohn, denke ich grimmig und bin dennoch aufgeregt, ohne zu wissen, wieso. Mein erster Impuls ist, so zu tun, als hätte ich ihn nicht gesehen, doch es ist zu spät. Als wir nur noch ein paar Meter voneinander entfernt sind, wirft uns Gabriele einen beiläufigen Blick zu und nicktuns knapp zu. Sonia reagiert nicht, ich flüstere ein kaum hörbares Ciao und lege einen Schritt zu. Na bitte, die alte Ordnung ist wiederhergestellt, alle Teile sind wieder an ihrem Platz: die Guten unter sich und die Bösen wo der Pfeffer wächst. Was für eine Erleichterung, denke ich, endlich ist alles vorbei.
    Als ich nach Hause komme, ist meine Stimmung im Keller. Ich esse was und verschanze mich dann im Schwimmbad. Fast zwei Stunden lang schwimme ich ununterbrochen, halte nur ab und zu an, um auf den Grund zu tauchen und die dunkelblau gekachelte Trennungslinie zwischen den Bahnen entlangzugleiten. Ich folge ihr, stelle mir vor, sie wäre endlos, bis der Luftmangel mich an die Oberfläche zwingt.
    Nach dem Schwimmen bin ich so erschöpft, dass ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann. Ich versuche zu lesen, doch die Augen fallen mir zu. Den Rest des Nachmittages bringe ich damit zu, irgendwelchen Mist in mich reinzustopfen und Clips auf Youtube zu gucken. Ich muss nur bis acht Uhr durchhalten, nach dem Telefonat mit Ischia gehe ich sofort ins Bett. Um zwei Minuten nach acht fragt mich die Stimme meiner Großmutter, wie es mir geht. Sie wirkt entspannt, locker, die Ferien tun ihr gut. Nach dem Abi fahren wir gemeinsam her, sagt sie wieder, nur du und ich.
    Ich bin froh, dass es ihr besser geht. Gern würde ich ihr etwas Nettes sagen, dass ich sie liebhabe und sie mir fehlt zum Beispiel, doch ich schaffe es nicht. Ich will nur schlafen. Um halb zehn liege ich bereits im Bett, im Dunkeln, ohne an etwas zu denken.

Erinnerst du dich an Franco?
    Ein Cousin meiner Großmutter war Maler. Zwar hatte er es nie richtig weit gebracht, aber in dem Dorf, in dem er lebte, wurde er sehr verehrt. Franco – so hieß er – war »Der Maler«. Und es war egal, dass keine Galerie seine Bilder ausstellen und niemand sie kaufen wollte: Franco war für jedermann der Dorfkünstler. Vom Vater, der es sehr wohl verstanden hatte, mit seinem Land Geld zu verdienen, hatte er ein Vermögen geerbt und lebte in der großen Familienvilla, die inmitten der sehr viel bescheideneren Häuschen ringsum ziemlich aus dem Rahmen fiel. Auch Franco mit seiner lässigen Art, dem offenen Lächeln und der fleckigen Kleidung, die nicht von Lehm und Öl, sondern von Farbe und Terpentin verschmiert war, fiel einigermaßen aus dem Rahmen. Mindestens einmal im Monat gingen meine Mutter und ich ihn besuchen. Mit dem alten R4 fuhren wir los, der wie geschaffen schien für die sanften Rundungen der Hügel mit ihren unvermuteten Ausblicken über die Sonnenblumenfelder und das Meer im Sommer und die gepflügten, nackten Äcker im Winter.
    Die Villa hatte einen riesigen Eingang und eine breite Freitreppe, die ins obere Stockwerk führte. Durch einen schmalen Flur unterhalb der Treppe gelangte man ins Atelier, eine Veranda voller Staffeleien, Farbtöpfe, Pinsel, Tuben, ausgelegtem Zeitungspapier und alter Holzstühle. Für mich war das ein verwunschener Ort. Meine Mutter setzte sich neben den malenden Franco, nahm mich auf ihre Knie und sagte: »Jetzt fragenwir Franco, ob er uns ein schönes Bild malt.« Franco nahm ein großes weißes Blatt Papier, pinnte es auf die Staffelei und machte eine Skizze von mir oder fragte mich, ob ich ein Lieblingstier oder etwas anderes hätte, was ich gern mochte, und dann zeichnete er es mir. Damals verstand ich genauso wenig wie heute, wenn ich Gabriele zeichnen sehe, wie diese Hände es schafften, die Welt zu bannen. Meine Mutter war ebenfalls

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