Der Regen in deinem Zimmer - Roman
der Ansicht, dass Franco nicht wirklich talentiert sei, doch einen Platz für die Bilder, die er uns schenkte, fand sie immer, und noch heute bewahre ich all seine Zeichnungen auf.
Francos Villa mit ihrem stattlichen Eingang und dem stimmungsvollen Atelier war wirklich beeindruckend, doch was ich am meisten liebte, war der riesige Garten, in dem es einen Brunnen mit dicken Goldfischen gab. In der Mitte des Brunnens erhob sich die Statue eines jungen Mädchens mit einer Blumengirlande auf dem Kopf und einem winzigen Flatterkleid, das seinen grazilen Körper umwehte. Zusammen mit der großen leeren Voliere in Form eines Schlosses, die nicht weit davon im Garten stand, gab sie mir das Gefühl, in einem Märchen zu sein.
Franco ist vor vielen Jahren gestorben, seine Villa ist zunächst verkauft und dann abgerissen worden, um der x-ten Reihenhaussiedlung Platz zu machen. Ich weiß noch, dass meine Mutter und ich wenige Monate vor ihrer Krebsdiagnose einen Spaziergang durch sein Dorf machten. Als wir an den Neubauten vorbeikamen, wo einst sein Haus gestanden hatte, kam es uns beiden so vor, als hätte es Franco und seine Villa nie gegeben, als wären sie eine Art vergessener Traum, an den man sich nur ab und zu bruchstückhaft erinnern kann. Eine heftige Wehmut durchfuhr mich, und zum ersten Mal im Lebenwurde mir deutlich bewusst, dass die Zeit endlich ist und es davor kein Entrinnen gibt. Ich weiß noch, dass meine Mutter nur sagte: »Was für ein Jammer!«, und das nicht wegen der potthässlichen Reihenhäuser, sondern weil die Zeit Franco ausradiert hatte wie er seine misslungenen Skizzen.
Oft denke ich daran, wie meine Mutter und ich in diesem Garten vor der anmutigen Statue standen. Der schreckliche Zauber, den ich damals noch nicht wahrhaben wollte, war bereits da, in der leeren, vor Stille berstenden Voliere, in der kalten, von der Zeit zerfressenen Statue, die reglos in der Brunnenmitte stand. Alles ließ erahnen, dass sich bereits ein dämonischer Hexer, weit mächtiger als die aus den Märchen, in einem schattigen Winkel des Gartens eingenistet und ans Werk gemacht hatte. Nichts würde ihm entgehen, nach und nach würde er alles an sich reißen, die verbleibende Zeit, die vergessenen Dinge.
15. Dezember
In den letzten Tagen vor den Ferien ist die Festtagsstimmung unerträglich. Während die ganze Klasse vor guter Laune strotzt, komme ich mir vor wie aus dem Film Das Findelkind . An meinem Tisch herrscht beharrliches, finsteres Schweigen, so durchdringend, dass sich die anderen ab und zu nach mir umdrehen, um zu sehen, ob ich noch da bin.
In der dritten haben wir Greci. Ich sollte ihm sagen, dass sein Liebling beschlossen hat, auf den Bau zu gehen. Für den Rest seines Lebens wird er Stahlbetonträger gießen. Viel Spaß. Heute bin ich zynisch, das macht die Enttäuschungen erträglicher. Dazu ist Zynismus schließlich da, oder?
Als es klingelt, atme ich erleichtert auf, es ist zwar erst eine Stunde rum, doch ich wünschte, es wäre schon die letzte. Während wir dasitzen und auf unseren Italienischlehrer warten, kommt Gabriele herein. Mein Unterkiefer klappt herunter, als hätte die Schwerkraft ganz plötzlich zugenommen, und mein Mund steht so weit offen, dass ich ein Papierkorb-Casting glatt gewinnen würde. Als er die Basis erreicht, knallt er den Rucksack auf den Boden, zieht den Stuhl geräuschvoll zurück und lässt sich wie ein Kartoffelsack darauffallen. Als er sitzt und auch der Mehrzweckblock für alle sichtbar auf dem Tisch liegt, rutscht mir, noch ehe mir etwas Besseres einfällt, ein »Hey, Maurer, gab’s für dich keine Kelle mehr?« raus. Er sieht mich eisig an. So weit nichts Neues, nur das er heute besonders wütend zu sein scheint. Er klappt seinen Block für alle Lebenslagenauf und fängt an, darauf herumzukritzeln. Willkommen zurück, Caravaggio. Hast du’s für mich getan? Die Vorstellung, er könnte wegen mir hier sein, weil ich ihn darum gebeten habe, macht mich ganz euphorisch. Ich kriege kein Wort von dem mit, was der Lehrer redet, und luge die ganze Zeit zu Gabriele hinüber. Ich schiele auf den Block und sehe, dass er eine Art muskelstrotzenden Superhelden mit Loservisage zeichnet. Er ist ganz darin versunken und merkt nicht, dass ich ihn beobachte. Als ich wieder aufblicke, sieht Ilaria mich an. Sofort flüstert sie Sonia etwas ins Ohr. Ich sehe, wie Sonia sich verstohlen umdreht und dann mit den Schultern zuckt, doch heute ist mir ihr Tussengelaber total egal.
Als es
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