Der Regenmacher
solche Anklage unterkommt, werde ich sie nicht abweisen. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, Sir«, erwidert Cliff, als täte es ihm unendlich leid, soviel Scherereien gemacht zu haben. Die Papiere werden zum Richtertisch hinaufgereicht. Der Richter unterschreibt und schüttelt dabei den Kopf. Klage abgewiesen.
Auch diesmal wurde die Stimme des Opfers nicht gehört. Kelly sitzt zu Hause mit einem gebrochenen Knöchel, aber das ist nicht der Grund für ihr Fernbleiben. Sie versteckt sich, weil sie nicht wieder geschlagen werden will. Ich frage mich, welchen Preis sie für das Fallenlassen der Anklage gezahlt hat.
Cliff gibt seinem Anwalt die Hand und stolziert den Gang entlang, an meiner Bank vorbei und zur Tür hinaus. Er kann tun, was immer er will, und braucht sich nicht vor Strafverfolgung zu fürchten, weil niemand da ist, der ihr helfen könnte.
Es liegt eine frustrierende Logik in dieser Fließbandjustiz. Da drüben sitzen gar nicht so weit entfernt Vergewaltiger, Mörder und Drogendealer in ihren orangefarbenen Overalls und mit Handschellen. Das System läßt kaum genug Zeit, um sich diese Verbrecher vorzunehmen und wenigstens ein gewisses Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen. Wie kann man da erwarten, daß sich noch jemand um die Rechte einer einzigen mißhandelten Frau kümmert?
Vorige Woche, während ich noch mitten im Examen steckte, hat Deck ein bißchen herumtelefoniert. Er hat die neue Adresse und die Telefonnummer der Rikers herausgefunden. Sie sind in eine neue Wohnanlage im Südosten von Memphis gezogen. Zwei Zimmer, vierhundert im Monat. Cliff arbeitet bei einer nicht gewerkschaftlich organisierten Spedition ganz in der Nähe von unserem Büro. Deck vermutet, daß er ungefähr sieben Dollar pro Stunde verdient. Sein Rechtsbeistand war irgendein Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt, wie es sie in dieser Stadt zu Abertausenden gibt.
Ich habe Deck die Wahrheit über Kelly erzählt. Er meinte, es wäre wichtig, daß er Bescheid wüßte, denn wenn Cliff mir mit einer Schrotflinte den Kopf wegpusten sollte, dann gäbe es immer noch ihn, Deck, und er würde schon erzählen, wie es dazu gekommen ist.
Und dann hat Deck noch gesagt, ich sollte sie besser vergessen. Sie bringt nichts als Ärger.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Zettel, daß ich mich umgehend bei Bruiser melden soll. Er sitzt allein hinter seinem ausladenden Schreibtisch und spricht in das Telefon auf der rechten Seite. Links von ihm steht ein zweiter Apparat, drei weitere sind über das Büro verteilt. Dazu eins im Wagen und eins in der Aktentasche. Und das, das er mir gegeben hat, damit ich rund um die Uhr erreichbar bin.
Er bedeutet mir, mich zu setzen, verdreht seine rotgeränderten Augen, als hätte er da einen besonders penetranten Schwachkopf an der Strippe, und grunzt irgend etwas Zustimmendes in den Hörer. Die Haie schlafen entweder oder haben sich hinter Felsbrocken versteckt. Der Filter des Aquariums summt und gurgelt.
Deck hat mir zugefüstert, daß die Kanzlei Bruiser zwischen dreihundert-und fünfhunderttausend im Jahr einbringt. Das ist schwer zu glauben, wenn man sich in diesem schäbigen Zimmer umsieht. Vier Anwälte sind ständig für ihn auf Achse, um Verletzungsfälle an Land zu ziehen. (Und jetzt hat er mich noch dazu.) Deck konnte aus dem Stegreif fünf Fälle aufzählen, die Bruiser im letzten Jahr jeweils hundert-bis hundertfünfzigtausend eingebracht haben. Er scheffelt Geld mit Drogensachen und hat sich in der Rauschgiftbranche den Ruf eines Anwalts erworben, auf den man sich verlassen kann. Aber Deck zufolge sahnt Bruiser mit seinen Beteiligungen erst richtig ab. Er ist – niemand weiß, in welchem Ausmaß, und die Bundesbehörden können es ihm offenbar trotz verzweifelter Versuche nicht einmal nachweisen – in das Pornogeschäft in Memphis und Nashville verwickelt. Die Branche operiert vorwiegend mit Bargeld, also weiß niemand, wieviel er einstreicht.
Er ist dreimal geschieden, erzählte Deck, als wir bei Trudy’s ein fettiges Sandwich aßen, und er hat drei halbwüchsige Kinder, die, wie nicht anders zu erwarten, bei ihren jeweiligen Müttern leben; er umgibt sich gern mit jungen Bartänzerinnen, trinkt und wettet zuviel und wird nie, einerlei, wieviel Bares er mit seinen dicken Händen zu packen kriegt, genug Geld haben, um zufrieden zu sein.
Vor sieben Jahren wurde er unlauterer Machenschaften bezichtigt und verhaftet, aber die Regierung hatte keine Chance. Nach einem Jahr wurde die Anklage
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