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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Jedlitschka-Hof entdeckt. Ganz einsam lag er da, ohne Nachbarn weit und breit. Ein ziemlich großes altes Bauernhaus, im ersten Stock von einem Holzbalkon umrahmt, an dem Blumenkästen mit Geranien befestigt waren. Neben dem alten Haus stand ein kleinerer Neubau, bungalowartig, mit Terrasse und einem runden Schwimmbecken für Kinder. Vor den beiden Häusern erstreckte sich ein quadratischer, betonierter Innenhof, links begrenzt von einer großen Holzscheune mit zwei Getreidesilos daneben, rechts von einer gemauerten Gerätehalle für Traktoren und Anhänger.
    Für die Rückseite dieser Maschinenhalle, dafür hatte sich Tretjak interessiert. Von hier aus hatte man einen freien Blick nach Süden, mit tiefem Horizont und kilometerweiter Landschaft ohne Gebäude, die nachts störendes Licht erzeugten. Die Familie Jedlitschka hatte damals aus dem alten Bauern und seiner Frau bestanden, ihrem Sohn und dessen Frau und zwei kleinen Kindern. Tretjak hatte mit dem alten Bauern verhandelt, einem offenen, freundlichen Mann mit bayrischem Schnauzbart, der eine kleine Hasenscharte verdeckte. Zweimal hatte er ihn aufgesucht, dann war die Abmachung auf dem Tisch: Tretjak durfte an der Rückseite der Gerätehalle eine kleine Sternwarte errichten mit einem fest installierten Teleskop. Für den Platz und das bisschen Strom, das er benötigte, würde er eine jährliche Pacht zahlen. 6oo hatte der Bauer vorgeschlagen, und Tretjak, dem die niedrige Summe fast peinlich gewesen war, hatte 800 geboten. Lachend hatte Jedlitschka bei 700 eingeschlagen. Einen Vertrag wollte er keinen: »Wenn Sie keinen Lärm machen und kein Licht, können’s gern noch zwanzig Jahre lang hier in den Himmel schaun.« Jedlitschka war inzwischen tot, ein Herzinfarkt auf dem Bulldog bei der Maisernte, aber die Abmachung bestand weiter. Einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, besuchte Tretjak die Familie mit kleinen Geschenken. Sonst sah man sich nicht, denn Tretjak kam immer nur im Dunkeln. Ein Feldweg umrundete den ganzen Hof, auf ihm konnte man direkt zur Sternwarte gelangen, zu dem kleinen weißen Häuschen mit der drehbaren Kuppel auf dem Dach.
     
    Fiona Neustadt erwies sich als brauchbare Begleiterin auf dem Weg ins Weltall. Sie stellte keine Fragen und überließ es ihm zu erklären, was er für wichtig hielt. Die Sache mit der Dunkelheit zum Beispiel: Keinerlei Licht, damit sich die Pupillen vergrößern, nur eine schwache Rotlicht-Taschenlampe war erlaubt. Tretjak nahm die Finanzbeamtin an der Hand, als sie den Wagen verließen und im roten Schein der Taschenlampe durch die Finsternis stapften. Die Sache mit der Wärme: Keine Heizung in der Nähe des Fernrohres, sonst flimmert die Luft, und die Bilder werden unscharf. Als sie die Sternwarte betreten hatten, öffnete Tretjak ein kleines Schränkchen, entnahm ihm zwei Fleecepullover, eine Fleecemütze und Wollhandschuhe und gab sie seiner Begleiterin, die in einer Ecke des Raumes wartete, während er das Teleskop einsatzbereit machte. Tretjak beherrschte jeden Handgriff wie im Schlaf, bewegte sich in der Dunkelheit sicher und schnell.
    Sein Teleskop war ein Celestron C14, Spiegeldurchmesser 35 Zentimeter, ein schwarzes Rohr, das in der Mitte des Raumes auf einer schwarzen Säule montiert war. Eine komplizierte Vorrichtung mit Gegengewichten erlaubte es, das Gerät in jede Richtung und jeden Winkel zu drehen. Auf einer elektrischen Steuereinheit gingen rote Lichtpunkte an. Über ihren Köpfen öffnete sich jetzt mit leisem Motorengeräusch die Kuppel um einen Spalt von einem Meter Breite, gab den Blick auf den Sternenhimmel frei. Die frische Nachtluft trug den Geruch der umliegenden Wiesen herein.
    Tretjak schraubte ein Okular in das Teleskop. »Setzen Sie sich hier auf den Beobachtungsstuhl«, sagte er. »Geht gleich los.«
    Er hatte hier so viele Nächte verbracht. Manchmal blieb er, bis es hell wurde. Die Verlässlichkeit des Universums hatte etwas ungeheuer Beruhigendes, fand er. Mit dem Teleskop konnte er alte Bekannte aufsuchen mit wunderbaren Namen, Sterne wie Beteigeuze, Gasregionen, in denen neue Sterne entstanden wie der Orionnebel, Milchstraßensysteme wie die Galaxie mit dem schwarzen Auge. Es gab Supernova-Überreste und Dunkelwolkengebilde, Kugelsternhaufen und Doppelsterne … zu jeder Jahreszeit andere. Im Laufe einer Nacht zogen die Bekannten über das ganze Firmament, und das ziemlich schnell. So dass man am Ende glaubte, statt auf dem Beobachtungsstuhl auf einem Karussell zu sitzen, und es

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