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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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stimmte ja auch, die Erde war ein Karussell, ein winziges Karussell auf einem unendlich großen Rummelplatz.
    Tretjak erklärte der Steuerprüferin, dass alles, was sie jetzt sah, längst der Vergangenheit angehörte. Wenn das Licht 25 Millionen Jahre brauchte, um von der Strudelgalaxie hierher zu kommen, dann war das Bild der Galaxie auch 25 Millionen Jahre alt.
    Je besser sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, desto heller wurde es für sie in Tretjaks Sternwarte. Schließlich konnten sie die Konturen ihrer Gesichter erkennen und das Funkeln ihrer Augen. Fast zweieinhalb Stunden verbrachten sie so gemeinsam.
    Einmal musste Tretjak an ihre Frage vom Nachmittag denken, was genau eigentlich sein Job sei. Und er erinnerte sich daran, wie er einmal mit der Bäuerin Jedlitschka in ihrer Küche gesessen hatte und sich mit ihr, die von Jahr zu Jahr schwerer atmete, deren Beine immer weiter anschwollen, darüber unterhalten hatte. Warum die Menschen so große Sehnsucht hatten, dass jemand anders etwas für sie erledigte. »Je angesehener sie sind, je mehr Geld sie haben, desto größer wird diese Sehnsucht«, hatte er gesagt. Und er hatte ihr ein bisschen erzählt, was seine Klienten von ihm wollten, nur Harmloses natürlich. Am Ende hatte sie gesagt: »Sie sind also ein Regler …« Und nach einer Weile hatte sie hinzugefügt: »Wissen S’, Herr Tretjak, früher hätten S’ damit kein Geld verdient. Früher wären die Leute zu geizig gewesen, jedenfalls in dieser Gegend. Vielleicht hat’s auch noch nicht so viel gegeben – zum Regeln.« Seit diesem Tag nannte ihn die alte Bäuerin nur noch so: den Regler.
    Tretjak drehte das Teleskop in Richtung des Sternbilds Löwe, wo ein hell leuchtender Punkt zu sehen war. »Das ist der Planet Jupiter«, sagte er und blickte auf die Uhr. »In vier Minuten können Sie beobachten, wie einer seiner Monde vor ihm vorbeizieht.«
    »In vier Minuten«, sagte Fiona Neustadt. »Was machen wir, wenn er Verspätung hat?« Sie rieb fröstelnd die Hände aneinander.
     
    Es war fast drei Uhr, als Tretjak seinen Wagen wieder am Münchner Rotkreuzplatz anhielt, vor dem längst geschlossenen Café. Fiona Neustadt hatte die Fleecesachen ausgezogen und auf den Rücksitz geworfen. Er gestand sich ein, dass er damit rechnete, sie würde sich jetzt zu ihm auf den Fahrersitz herüberbeugen, für einen kleinen Kuss und ein Danke. Aber das passierte nicht. Sie wirkte müde, öffnete die Beifahrertür, hatte einen Fuß schon auf der Straße, als sie ihn noch einmal anblickte und sagte: »Das war sehr interessant. Ich habe das noch nie gesehen. Gute Nacht.« Dann fiel die Tür zu, und sie verschwand in dem Durchgang zu einem Wohnblock. Als Tretjak später in seiner Tiefgarage die Kleidungsstücke zusammenlegte, um sie im Kofferraum zu deponieren, hielt er kurz inne und roch daran. Grapefruit. Ohne Zweifel.
    Brennerautobahn, 3 Uhr nachts
    Unter den Münchnern gab es einen Glaubenskrieg, wie man am schnellsten mit dem Wagen nach Südtirol kam: über die Autobahn Richtung Salzburg, Abzweigung Kufstein, oder über die Autobahn Richtung Garmisch-Partenkirchen und den Ort Scharnitz. Kommissar Maler gehörte zur Fraktion Garmisch-Partenkirchen. Besonders während der Hauptreisezeit, das war seine Überzeugung, gelangte man hier schneller zum Brennerpass und über den Pass nach Südtirol.
    Es war keine Hauptreisezeit und mitten in der Nacht, trotzdem fuhr Maler die gewohnte Strecke. Kurz nach drei Uhr morgens war es jetzt, die Fahrbahn fast gespenstisch leer. Über dem Lichtkegel wölbte sich ein auffallend klarer Sternenhimmel. Maler war zügig vorangekommen, Zirler Berg, Brennerpass, das lag alles schon hinter ihm. Er fuhr schon auf der italienischen Autobahn mit der grünen Beschilderung und passierte gerade die Abfahrt Brixen, als sein Telefon läutete.
    Das konnte nur seine Münchner Dienststelle sein. Oder die Kollegen aus Südtirol. In jedem Fall würde man ihm neue Informationen zu dem merkwürdigen Leichenfund durchgeben wollen. Maler holte das Telefon aus seiner Jacketttasche und hielt es mit der rechten Hand ans Ohr. Er hasste Freisprechanlagen.
    »Ja?«
    »Kommissar Maler?« Eine Frauenstimme.
    »Ja.«
    »Wir sind uns in der Wohnung von Gabriel Tretjak begegnet«, sagte die Frauenstimme. »Ich bin die Steuerprüferin. Neustadt ist mein Name.«
    Maler ging vom Gas, um den Geräuschpegel im Wagen zu senken. Die Tachonadel fiel auf 120. Links am dunklen Berghang tauchte die erleuchtete

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