Der Regler
Silhouette einer Burg auf.
»Ja, Frau Neustadt, ich erinnere mich.«
»Ich möchte Sie treffen, Herr Kommissar, und Ihnen etwas sagen«, sagte die Frau am Telefon.
Maler sah auf die Uhr am Armaturenbrett. »Und das ist so wichtig, dass Sie mich um diese Zeit anrufen?«
»Ich denke ja. Können wir uns treffen?«
Ein grünes Schild huschte vorbei.
Bolzano/Bozen 45 Kilometer.
»Jetzt?«, fragte Maler. »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Sie müssen mit dem Telefon vorliebnehmen.«
»Nein, das möchte ich nicht.«
»Ich bin dienstlich unterwegs, wissen Sie«, sagte er. »Ich weiß nicht genau, wann ich zurück bin.«
Eine Pause entstand. Maler glaubte trotz der Motorgeräusche den Atem der Steuerprüferin zu hören. »Melden Sie sich doch, wenn Sie zurück sind«, sagte sie schließlich und legte auf.
Maler überlegte kurz, ob er sie zurückrufen sollte, um sie zu überreden, ihre Information gleich preiszugeben, entschied sich dann aber dagegen. Als ermittelnder Kommissar bekam man häufiger Anrufe dieser Art, die letztlich nichts wert waren, da sie nur etwas über die Psyche des Anrufers verrieten und nichts zur Aufklärung des Falles beitrugen.
Er wollte sich jetzt aufs Fahren konzentrieren. Bald würde er die Autobahn verlassen. Neben ihm auf dem Beifahrersitz lag eine Zeitschrift, die neue Ausgabe des
Psychologie Journals
. Er hatte sie vor seiner Abfahrt noch am Hauptbahnhof besorgt. Die Titelgeschichte hieß:
Kann man die Seele umprogrammieren, Professor Kufner?
Ein Wort meldete sich in seinen Gedanken, das sich dort während der Fahrt festgesetzt hatte. Der Bozener Kommissar, der ihn am späten Abend über den Mord an dem Psychologieprofessor Norbert Kufner im Hotel
Zum blauen Mondschein
informiert hatte, hatte dieses Wort nicht benutzt. Doch dass er seinen Münchner Kollegen verständigt hatte, lag an einer Auffälligkeit der Leiche, die mit den Augen zu tun hatte. Auf diese Auffälligkeit achteten seit zwei Tagen die Morddezernate in ganz Europa. Sie hatte das Wort in Malers Gehirn nach vorn gekramt. Und dort saß es jetzt, direkt hinter der Stirn:
Eiskugelzange.
Kochel am See, 17 Uhr
Sie gaben ein schönes Bild ab, da unten auf der Terrasse. Die schöne Mutter, der hübsche Sohn. Sie trank Espresso und ein Glas dunklen Sherry, er eine Cola, eine richtige Cola, wie er sagte, nix Light, nix Zero. Sie redeten, sie lachten, sie wirkten sehr entspannt.
Er sprach davon, was er später einmal werden wollte. Er wolle etwas Sinnvolles tun, Entwicklungshelfer vielleicht, sagte er. Vielleicht nach Afrika gehen. Irgendwohin, wo er helfen könne. Er geriet in seinen Sound, wie er es häufig tat. Er wolle nicht sein wie die anderen, er wolle etwas tun, das wirklich etwas wert sei. Die Welt wolle er verbessern. Er wisse, sagte er, dass er ein besonderer Mensch sei, ein besonders sensibler Mensch.
So wie er auf der Terrasse, so redeten viele junge Leute. Die Mutter hatte diesmal keine Lust zu widersprechen. Sie wollte jetzt einfach nicht an die Ratschläge der Therapeuten denken: »Sie sollten darauf achten, dass jedes Gespräch mit Ihrem Sohn eine Struktur hat, einen Anfang und ein Ende. Am allerwichtigsten ist, dass zum Schluss klar ist, wie das nächste Gespräch weitergeht. Sie müssen mit Ihrem Sohn ein Kommunikationsnetz flechten, das ihn hält.« Der letzte Therapeut, der ihr das gesagt hatte, war klein und dick und hatte auffallend unreine Haut. Wenigstens für den Moment konnte ihr der Typ gestohlen bleiben. Sie war froh über die freundliche Stimmung. Sie war froh, dass ihr Lars nicht auf die Nerven ging. Auch der Sherry half ein bisschen, sie mochte seine erste, leichte Wirkung. Man wurde etwas gnädiger gegenüber dem Rest der Welt. Zu dem ihr Sohn ja auch irgendwie gehörte.
Sie erinnerten sich zusammen an frühere Urlaube, an die langen Autofahrten. Sie hatte ihm immer einen Überraschungskoffer gepackt, mit lauter kleinen Geschenken drin. Für den Urlaub, für die Fahrt. »Mein allerschönster Urlaub«, sagte Lars, »war damals Korsika.« Und die lange Fahrt auf der Fähre. »Ja, sagte sie, das war schön.« So plätscherte das Gespräch dahin. »Weißt du noch?« »Ja.« Der gelbe Plastikpinguin, der draußen im Meer verschwand. Das Tischtennisturnier am Strand von Ravenna, das Lars gewann. Neun Jahre alt war er damals. Mein Gott, die Zeit.
Irgendwann sagte Lars: »Du bist die tollste Mama der Welt.« Dazu stand er auf und umarmte sie. »Mama, es wird alles gut werden.
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