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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Versprochen.« Dann ging er auf sein Zimmer.
    Sie hatte für sich und Lars zwei Apartments in einer Ferienanlage in Kochel am See gemietet. Fünfzig Kilometer von München entfernt. Es schien ihr genau die richtige Entfernung. Von Kochel war man schnell in München, von München war man schnell in Kochel. Wie und wo immer sich dieser Gabriel Tretjak ein erstes Treffen mit ihrem Sohn vorstellen würde.
    »Ich hol dich in zwei Stunden zum Abendessen ab«, rief sie ihm noch nach.
    »Okay, Mama.«
     
    Als Charlotte Poland zwei Stunden später am Apartment ihres Sohnes klopfte, öffnete niemand. Sie klopfte lauter. Keine Reaktion. Sie rief auf seinem Handy an. Dort war nur die Ansage zu hören: »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht zu erreichen.« Sie besorgte sich unten an der Rezeption einen Schlüssel für sein Zimmer. Die große Reisetasche, die sie ihm gepackt hatte, war da. Die kleine Umhängetasche fehlte. Sie ging wieder zur Rezeption und fragte, ob jemand ihren Sohn gesehen habe. Ja, hieß es, er habe sich vor gut einer Stunde ein Taxi bestellt, mit dem er dann auch weggefahren sei. Sie fragte, ob man bei dem Taxiunternehmen nachfragen könne, wohin ihr Sohn gefahren sei. Natürlich, man werde es versuchen.
    Sie ging auf ihr Zimmer zurück. Als sie ihre Handtasche öffnete, ahnte sie es bereits. Ihre Geldbörse war weg, mit allem Geld, allen Kreditkarten, ihren Papieren. Lars musste sie draußen auf der Terrasse gestohlen haben, als sie kurz auf der Toilette gewesen war. Lars wusste, dass sie die Geldbörse zum Bezahlen nicht brauchte, sie ließ sich die Rechnung wie immer aufs Zimmer schreiben. Sie rief die Servicenummer ihrer Bank an und ließ alle ihre Karten sperren. Eine Stunde hatte Lars Zeit gehabt. Bei den letzten Malen waren es immer rund zweitausend Euro gewesen, die Lars sich mit den Karten besorgt hatte. Der kleine dicke Therapeut hatte ihr geraten, beim nächsten Vorfall unbedingt die Polizei einzuschalten. Sie sollte ihren eigenen Sohn anzeigen.
    Charlotte Poland setzte sich auf das Hotelbett. Sie betrachtete sich in der Spiegeltür des Wandschrankes. Sie hatte etwas Farbe bekommen. Stand ihr gut, fand sie. Auch ihr weißes Kleid gefiel ihr. Sie gehörte zu den Frauen, die sich gern anschauten. Ihr Verleger hatte einmal zu ihr gesagt, sie sei zu schön für eine Autorin. Einer Frau mit einer solchen Modelfigur und solchen großen Augen glaube man nicht, dass sie auch noch klug sei. Die Fotos auf ihren Büchern waren jedenfalls dezent gehalten. Das Gesicht im Profil, schwarzweiß.
    Ich bin reich und schön, dachte sie. Und sonst? Sie zog sich aus und legte sich aufs Bett. Das hatte sie sich angewöhnt, sie kam am besten zur Ruhe, wenn sie nackt war und die Augen schloss. Sogar den großen Panther-Ring von Cartier zog sie sich vom Finger. Sie hatte ihn sich selbst geschenkt, als zum ersten Mal eines ihrer Bücher auf die Bestsellerliste gekommen war.
    Ihre Romane hatten immer das gleiche Thema: die trügerische Idylle, das Leben mit doppeltem Boden. Sie wusste sehr genau, warum sie diese Geschichten liebte. Sie schrieb so gerne über den doppelten Boden, weil der doppelte Boden ihr Lebensthema war. Eine Freundin hatte ihr einmal gesagt, sie liebe den Betrug, weil sie sich nur in diesem Betrug wahrhaftig fühle. Schöner hätte man es nicht ausdrücken können, es war sozusagen der Klappentext ihres Lebens.
    Es war still in dem Hotelzimmer. Sie glaubte, ein leises Sirren von der Minibar zu hören. Von der offenen Balkontür kam ein einsames Vogelpiepsen. Das Bild vom doppelten Boden gefiel ihr, weil es bedeutete, dass es einen festen Boden darunter gab. Es gab den Schein, ein Leben, das gut aussah, das man präsentieren konnte. Den doppelten Boden – der aber nur funktionierte, wenn er einen Halt hatte. Der Betrug interessierte sie nur im Kontrast zur Rechtschaffenheit, zur Biederkeit. Verdammt nochmal, wollte sie am liebsten rufen, ich brauche den schönen Schein!
    Ihr Kopf produzierte jetzt Bilder von ihrem Sohn. Lars im Krankenhaus, kurz nach der Geburt. Ein stilles Baby, so still, dass die Ärzte fürchteten, es stimme vielleicht etwas nicht mit ihm. Lars im Kindergarten, das hübscheste Kind von allen, blond, süß, strahlend. Es gab niemanden, der sich nicht in ihren Kleinen verliebte. Lars auf den Schultern seines Vaters. Wie sie zusammen Fußball spielten im Garten ihres neuen Hauses. Lars mit Konrad, dem besten Freund, lachend vor dem Computer in seinem Zimmer. Die Bilder hatten bei

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