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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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ein Wort:
enough
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    Fiona Neustadt, die sich am Nachmittag mit den hohen Honoraren in Tretjaks Büchern beschäftigt hatte, hielt offenbar nach einem auffälligeren Wagen Ausschau. Tretjak fuhr einen anthrazitfarbenen BMW ohne Typenbezeichnung und optischen Schnickschnack, mit genug Leistung und einer Sonderausstattung im Innenraum, die sich vor allem dadurch auszeichnete, dass man sie nicht gleich sah.
    Als er Fiona Neustadt wie verabredet am Rotkreuzplatz vor dem Eiscafé Scarletti stehen sah, stellte er sofort fest, dass sie sich nicht an seine Anweisungen gehalten hatte. Sie trug Jeans, Turnschuhe, einen dünnen grauen Pullover und eine schwarze Lederjacke. Er machte mit der Hupe auf sich aufmerksam, und sie stieg ein.
    »Wo ist Ihre Mütze?«, sagte er, während er den Wagen Richtung mittleren Ring wendete. »Wo sind die Handschuhe? Sie werden frieren. Es ist kalt, da, wo wir hinfahren.«
    »Nun sagen Sie schon: Wo fahren wir denn hin?«
    Ihm war schon am Nachmittag aufgefallen, dass sie ein iPhone hatte. »Möchten Sie das Ziel in Ihr iPhone eingeben?«, fragte er.
    »Google Maps?«, fragte sie und holte das Telefon aus der Jackentasche.
    »Nein«, sagte er. »Google Maps ist zu klein. Geben Sie M-51 in die normale Suchmaske ein, und suchen Sie nach Bildern. Großes M und die Ziffern 5 und 1.«
    Fiona Neustadt tippte auf ihrem Display. Er fuhr vom Ring auf die Autobahn nach Garmisch-Partenkirchen. Es war schon nach Mitternacht. Die Straßen waren leer. Den Weg, den er jetzt einschlug, war Tretjak immer nur allein gefahren. Er wunderte sich ein bisschen über sich selbst, dass es heute anders war. Aber in letzter Zeit wunderte er sich öfter über sich selbst. Immer deutlicher verspürte er die Sehnsucht, Dinge anders zu machen als sonst, seine Gewohnheiten, seine Rituale, seine Grundsätze ein bisschen durcheinanderzubringen. Wie ein Planet, der seine Umlaufbahn verlassen wollte.
    »Aha«, hörte er vom Beifahrersitz. Und sah bei einem Seitenblick das Bild auf dem Display des iPhones.
    »Das ist die Strudelgalaxie M 51«, sagte er. »Im Englischen heißt sie ›Whirlpool‹. Sie ist 25 Millionen Lichtjahre entfernt und steht im Sternbild Jagdhunde. Dort reisen wir hin. Einverstanden?«
    Tretjak wusste nicht, ob Fiona Neustadt klar war, was eine Galaxie war, ob sie das Foto mit dem Bewusstsein betrachtete, dass es sich hier um eine Ansammlung von Milliarden Sonnen handelte, unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, durchaus ähnlich. Aber er spürte, dass die Aufnahme Eindruck auf sie machte. Die weit ausholenden Arme der Spirale, die rötlichen und bläulichen Flecken, die das Alter der Sonnen anzeigten, die dunklen Staubbänder zwischen der strahlenden Lichtmenge – und das alles vor dem tiefschwarzen Himmel des Weltalls.
    »Haben Sie Musik im Auto?«, fragte sie, als er an der Ausfahrt Hohenschäftlarn von der Autobahn abbog.
    »Nein«, antwortete Tretjak. »Sie müssten etwas im Radio suchen. Ich höre fast nie Musik. Aber wir sind gleich da.«
    Er lenkte den Wagen in Richtung Mörlbach. Die Straße verlief durch leicht hügeliges Gelände, über Felder, durch Waldstücke. Tagsüber hätte man die Alpenkette am Horizont gesehen. Aber jetzt war es vollkommen dunkel, nur gelegentlich zeigte sich ein Licht, das zu einem Haus gehörte. Einmal tauchte rechts am Straßenrand ein Reh im Scheinwerferlicht auf. Sie fuhren die letzten Minuten schweigend, die Stille bekam allmählich etwas Angespanntes.
    Tretjak griff zu seinem Telefon und drückte eine Kurzwahltaste. »Frau Jedlitschka, ich bin’s, Ihr Untermieter«, sagte er. »Ich bin gleich da, würden Sie die Beleuchtung auf dem Hof ausmachen? Danke.«
    Wie oft hatte er angeboten, eine Fernsteuerung zu installieren, um die Lampen abzuschalten. Aber die alte Frau Jedlitschka hatte ihm erklärt, dass sie wegen der Durchblutungsstörung in den Beinen ohnehin nicht schlafen könne und Nacht für Nacht in der Küche sitze. Und die junge Familie schliefe im Nebengebäude und würde vom Klingeln ihres Telefons nicht gestört. Zwischen Mörlbach und Bachhausen bog Tretjak ziemlich plötzlich auf einen Weg ab. Es war fast acht Jahre her, dass Tretjak in dieser Gegend südlich von München tagelang umhergefahren war, um einen guten Standplatz für sein Teleskop zu finden. Er war dabei oft in die Irre gegangen, hatte mit den falschen Leuten geredet, es war eine zeitraubende Angelegenheit gewesen. Aber schließlich hatte er zufällig von einer Anhöhe aus den

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