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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Parkplatz der Reitschule Icking. Bitte Badehose drunterziehen.
    Icking lag nicht weit entfernt vom Jedlitschka-Hof. Die Strecke verlief in fast gerader Linie vom Starnberger See zum Isartal, auf schmalen Straßen über sanfte Hügel. Tretjak war guter Stimmung, nervös auch jetzt, aber aus deutlich angenehmeren Gründen. Um kurz vor zwei, als er von oben in den Ort einfuhr, erhielt er eine Nachricht auf sein Handy. Vielleicht verspätete sich Frau Neustadt, so etwas vermutete er. Nachher würde er das Telefon ausschalten, entschied er. Aber jetzt blickte er auf das Display. Zu seiner Überraschung hatte er nur ein Bild erhalten. Unbekannter Absender. Doch was Tretjak auf dem Bild sah, war ihm nicht unbekannt. Es handelte sich um sein eigenes Büro, von innen fotografiert, offenbar heute. Der Rechner, das konnte man sehen, war schon weggeräumt. Auf dem Van-Eek-Tisch standen noch die vielen bunten Rosen, die er unter so mysteriösen Umständen bekommen hatte.
    Irritiert folgte Tretjak den Anweisungen seines Navigationssystems. Icking erstreckte sich über einen langen Hang. Schöne Villen, alte Bauernhäuser, Zwei Schulen, eine Kirche. Ganz unten, schon im Wald und in der Nähe des Isar-Stauwehrs, befand sich die Reitschule. Auf dem Parkplatz standen ein dicker Mercedes, ein abgestellter Pferdeanhänger – und ein älterer grüner Golf, der auf seinem Dach ein ziemlich großes, militärisch graues Schlauchboot balancierte. An diesem Gefährt lehnte Frau Neustadt. Braune Bermudashorts, weißes T-Shirt, Strohhut. Als sie Tretjaks Wagen sah, winkte sie.
    Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen,
Oberlauf Isar, 15 Uhr
    Sie ließ ihre Finger über sein Rückgrat wandern. Schritt für Schritt, von Wirbel zu Wirbel, näherten sie sich dem Hals. Es war keine entschlossene Bewegung, sondern eine zögernde, zarte. Er lag auf dem Bauch, die Arme unter dem Kopf verschränkt, das Gesicht von ihr abgewandt. Sie lag seitlich neben ihm, auf den Ellenbogen gestützt. Seine Badehose war schwarz, seine Haare waren schwarz, seine Haut gebräunt, die Farbe der Südländer, dachte sie.
    Eben hatte sie ihn einfach geküsst, mitten in seinem Satz über die Kraft des Wassers, das Steine schleifen könne … Es war einer dieser Sätze gewesen, die man sagt, um einfach irgendetwas zu sagen, manchmal auch, um etwas anderes nicht zu sagen. Ihr erster Freund hatte sie selbst einmal so beschrieben: »Du verhüllst dich mit Worten, du versteckst dich hinter Sätzen.« 15 war sie damals gewesen und sehr wütend geworden. Aber von diesem Tag an hatte sie ein Gespür für solche Sätze. Weich war der Kuss gewesen, ganz weich. Und jetzt rauschte nur noch das Wasser. Die Isar war an ihrem Oberlauf ein reißender Fluss und konnte richtig laut rauschen.
    Fiona Neustadt hatte zwei Badetücher mitgebracht, große, rotweißgestreifte, die sie keine zehn Meter vom Wasser entfernt auf dem Kies ausgebreitet hatte. Auf diesem sympathischen Kies mit den rund- und flachgeschliffenen Steinen. Das Schlauchboot mit den beiden Paddeln und der Tasche mit den Getränken war daneben an Land gezogen, ihre Kleider hingen über den Luftschläuchen in der Sonne. Das grüne Wasser mit den weißen Schaumkronen war um diese Jahreszeit noch viel zu kalt zum Baden. Angenehm warm wurde es nie, aber jetzt hatte es höchstens 14 Grad. Sie hatten sich nur kurz mit dem Wasser erfrischt und die Füße gekühlt.
    Sie hatte Gabriel Tretjak schon viel von sich erzählt. Ein hübsches Bild hatte sie gemalt, wie auf einer alten Postkarte. Von sich als kleinem Mädchen, das in genau diesem Schlauchboot mit seinem Vater die Isar hinunterfährt, an derselben Stelle bei der Tattenkofer-Brücke haben sie es ins Wasser eingesetzt. Und genau hier, in der großen Kurve vorm Zufluss des Loisachkanals, halten sie an, um eine Pause zu machen, und das Mädchen hüpft an Land. Die Mutter kam in dem Gemälde vor in ihren geblümten Kleidern, die weiße Bungalowsiedlung am Waldrand, und ein Hund, Aki, ein Salz-und-Pfeffer-Schnauzer, der später von einem Lastwagen überfahren wurde. Es sind doch solche Gemälde, dachte Fiona Neustadt, immer sind es solche Gemälde, die man austauscht, wenn man dabei ist, sich zu verlieben.
    Der Mann, der ihr eine Stunde im Schlauchboot gegenübergesessen hatte, war ein geduldiger Zuhörer. Oder jedenfalls beherrschte er die Kunst, so zu wirken, als würde er zuhören. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass sein Blick nach innen kippte. Aber das war schließlich kein Wunder,

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