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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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wenn er seinem Vater schreiben musste.
    Zweimal hatte seine Mutter ihn dazu aufgefordert, ihm einen Brief zu schreiben. Und er hatte am Tisch gesessen und wollte nicht und konnte nicht, und die Tränen waren ihm über die Wangen gelaufen, auf das Papier. Wütende Tränen darüber, dass seine Mutter, die allen Grund hatte, diesen Mann zu hassen, dass seine kranke Mutter versuchte, ihn in Schutz zu nehmen, dass sie solche Dinge sagte: »Er freut sich doch, wenn er von dir etwas hört. Er ist selbst arm dran. Er hat sich so verhalten, weil er nicht anders konnte, weißt du …« Beide Male hatte sich Tretjak schließlich ein paar Sätze aus seinem Hirn gequetscht, beide Male hatte er sich danach im Badezimmer übergeben.
    Jetzt malte er einen Kreis um die Notizen zur Verabredung am Abend. Einer Eingebung folgend, griff er dann nach zwei neuen weißen Blättern. Auch diese dreht er ins Querformat, auf jedes schrieb er ein Wort. Dann legte er sie nebeneinander auf den Tisch. Über das Blatt, an dem er vorher gesessen hatte.
Kommissar Maler
stand dann auf dem einen Stück Papier.
Hölle
auf dem anderen.
    Die Sonne war inzwischen an der Kuppel der Sternwarte vorbeigezogen und schien auf den Tisch. Tretjak spannte einen Sonnenschirm auf. Wieder im Schatten, schaltete er seinen Laptop ein. Die wichtigsten Informationen des großen Rechners hatte er heute Nacht beim Einpacken auf den Laptop übertragen. Er zwang sich jetzt, unter den Stichworten
Kerkhoff
und
Kufner
alles aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit zusammenzutragen und in einem eigenen Ordner abzulegen, was eventuell einen Hinweis geben konnte. Er tat es widerstrebend, eigentlich war er zu nervös, doch er war so an präzises Arbeiten gewöhnt, dass er sich schnell in die Aufgabe einfand. Immer neue Fenster öffneten sich auf seinem Bildschirm, Begriffe wurden markiert, Absätze verschoben.
    Die Diskussion über den Wert von Wissen hat eine lange Geschichte. Von Sokrates – »Ich weiß, dass ich nichts weiß« – bis zu Heisenberg, der entdeckte, dass das Wissen über einen bestimmten Vorgang zwangsläufig zu Unwissenheit über einen anderen führt. Tretjak war sich immer im Klaren darüber gewesen, dass die blinde Anhäufung von immer mehr Wissen am Ende zu Orientierungslosigkeit und Verwirrung führte. Manche Physiker arbeiteten schon mit dem Begriff Antiwissen, analog zur Antimaterie. Dort in der Stille des Jedlitschka-Hofes, auf der Jagd durch unendliche Dateien im Internet, spürte Tretjak plötzlich wieder diese Enge im Brustkorb, diese Atemnot. Er fragte sich, ob er nicht längst dabei war, solches Antiwissen aufzubauen, diesen gefährlichen Stoff, der ihn immer weiter ins Dunkle leiten würde statt ans Licht. Nicht nur in diesem Moment, sondern überhaupt. Vielleicht täte er besser daran, seine Koffer wieder unter der Plane hervorzuholen und sie im nahegelegenen Mörlbacher Weiher zu versenken.
    Er stand auf und begann mit einer Atemübung. Vor zwei Jahren, als diese Angstattacken angefangen hatten, hatte ihn Stefan Treysa zu einem Spezialisten geschickt. Die Atemtechnik, die Tretjak von ihm gelernt hatte, bestand im Wesentlichen darin, dass man sich vorstellte, die Luft zum Atmen würde einen nicht umgeben, sondern befände sich in einem offenen Fass ein paar Meter entfernt. Man musste sie durch kräftiges Einatmen ansaugen, möglichst in einem gleichmäßigen Strom. Und entsprechend beim Ausatmen: Man stellte sich vor, mit der Luft, die man ausatmete, müsste man einen Baum »gießen«, der ein paar Meter entfernt stand.
    Es gelang ihm schlecht, sich darauf zu konzentrieren. Und dann kam auch noch Frau Jedlitschka um die Ecke, die fragte, ob er eine Tasse Kaffee wolle. Er verneinte etwas unwirsch, brach die Atemübung ab, und als die Bäuerin wieder verschwunden war, griff er zu seinen Tabletten und spülte zwei davon mit dem Apfelsaft hinunter. Stefan Treysa hatte gesagt, er solle sich diese Tabletten lieber nicht als ständige Begleiter aussuchen.
    Tretjaks Blick fiel auf seine Zettel.
Kommissar Maler.
Er wird mich richtig ins Visier nehmen, er hat nichts anderes, dachte er, vielleicht wird er die Wohnung durchsuchen. Was konnte er tun, um ihn fernzuhalten oder für seine Zwecke zu benutzen? Der Regler gab sich nie geschlagen. Natürlich hatte er es in den vergangenen Tagen nicht versäumt, Informationen über Maler einzuholen, im Laptop existierte dazu ein ganzer Ordner mit der Bezeichnung
Herzbube
. Er beugte sich im Stehen über den Tisch und

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