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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Kommissar. Sie haben es ja nicht so mit den Gefühlen. Sie machen mehr auf harter Hund. Gefällt mir, ich kenn das, ich mag klare Farben, schwarz ist schwarz, und weiß ist weiß. Gerade deshalb: Denken Sie nach, was bei Ihnen los ist, da muss irgendwas sein.«
    Maler sagte nichts von Laura Müller. Aber er fragte den Professor, was für ihn eigentlich das Herz bedeute, ob es für ihn irgendetwas Mystisches sei, ob es für ihn mehr sei als nur das Organ, das alles antreibt.
    »Das Herz«, sagte der Professor, »ist für mich nichts Mystisches. Gar nichts. Nichts Kompliziertes, das Herz ist etwas ganz Einfaches. Das Herz ist ein Muskel, Schluss, aus, fertig. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe Tausende Herzen operiert. Ein Muskel, nichts weiter. Es gibt nichts, was man da hineininterpretieren könnte.«
    August Maler mochte den Professor. Jeden Tag hatte er damals bei ihm auf der Intensivstation gestanden, zwei Wochen lang, ihn hatte Maler erkannt, bei ihm hatte Maler gewusst, das ist der Arzt, das ist der Professor. Die Transplantation war gut verlaufen, das neue Herz war drin, und es schlug. Der Körper machte keine Probleme, nein, der nicht. Aber Maler war nach der Operation in eine Art Wahnzustand verfallen, er befand sich in einem nicht mehr enden wollenden Albtraum. Halb Traum, halb Wirklichkeit. Er lag in seinem Krankenhausbett, hing an den Schläuchen, und seine Phantasie verwandelte alles in eine völlig andere Geschichte: Er träumte, er wachträumte, er wäre in einer vergitterten Kiste an einem Flughafen gefangen, ihm war kalt, und seine Frau und Freunde liefen an der Kiste vorbei und hörten seine Hilferufe nicht. Er fühlte sich verraten und versuchte auszubrechen aus der Kiste – was in der Wirklichkeit der Intensivstation dazu führte, dass er wild um sich schlug und wirres Zeug redete und deshalb festgebunden werden musste im Bett, fixiert, wie man das nannte. Maler konnte sich nicht mehr im Einzelnen an die Albträume erinnern, aber für immer an das tiefe Gefühl von Furcht und Einsamkeit, das er empfunden hatte, umgeben von grausamen Folterknechten.
    Das einzig Wirkliche in diesen Wochen war nicht seine Familie gewesen, die seine Wahnzustände hilflos mit ansah. Es war der Professor, mit dem er reden konnte und der ihm auch erklärt hatte, was da passierte: Patienten gerieten auf Intensivstationen häufig in solche Phantasiewelten, das sei nichts Ungewöhnliches, es sei wie ein LSD -Trip, verursacht durch Krankheit und schwere Medikamentencocktails. Wir Ärzte, sagte der Professor, nennen das den
Durchgang
. Wie wenn man ein Zimmer des Wahnsinns betrete. Der eine bleibe länger drin, der andere kürzer, aber rauskommen tue jeder wieder. »Hören Sie mich, Maler«, hatte der Professor damals jeden Tag gerufen, »Sie kommen hier wieder raus, ganz sicher. Sie müssen mir das glauben.«
    August Maler hing lange fest zwischen diesen Welten, der Realität und dem Wahn. Was war echt, was war Vorstellung? Das waren viele Wochen die zentralen Fragen seines Lebens. Nur ganz allmählich konnte er wieder die Grenzen sehen zwischen diesen Welten, konnte er beurteilen, was zur einen, was zur anderen Welt gehörte. Was er nicht loswurde, was ihm seither beinahe ständig bewusst war: Es gab diese andere Welt, und sie konnte sich einschalten, wann immer ihr der Zeitpunkt geeignet schien. Manchmal dachte Maler, ist doch gar nicht so schlecht, diese erweiterte Dimension. Dann wieder verfluchte er dieses Gefühl der Schwäche, dass der Boden unter den Füßen jederzeit anfangen konnte zu wackeln.
    Einmal hatte Maler dem Professor von den Horrorbildern erzählt, die ab und zu wiederkamen, zum Beispiel von dem Tankwart, dem plötzlich das Blut aus dem Mund lief, und wie er, August Maler, ein paar Mal die Augen schließen und wieder öffnen musste, damit der Horror wieder aus dem Gesicht des Tankwarts verschwand. Kein Grund zur Sorge, hatte der Professor gesagt, das seien Ausläufer des Horrortrips aus der Intensivstation, chemische Reststoffe, die das Bewusstsein trübten. Kein Grund zur Sorge, das vergeht. Hier irrte der Professor. Sieben Jahre war seine Herzoperation inzwischen her, die Bilder waren geblieben, mal waren sie häufiger gekommen, mal seltener. Maler war unlängst beim nächtlichen Zappen bei einer Wissenschaftssendung hängengeblieben. Da hatte ein Hirnforscher erzählt, dass sich das Gehirn zum Leidwesen vieler Patienten Schmerzen merken konnte, die eigentlich schon längst nicht mehr existierten.

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