Der Regler
umgedreht.«
Stefan Treysa stand auf. Und setzte sich wieder. »Ja, und kein Wunder, bei dem, was passiert ist. Die Fabrik wurde von außen beschädigt. Und wir müssen jetzt in den Maschinenraum und die Maschine wieder zum Laufen kriegen.« Es war ganz still in dem Zimmer, man hörte nichts von draußen, auch nichts vom Papagei. »Erzähl mal was von deiner Fiona. Was ist das für eine Geschichte? Ich habe euch zweimal gesehen, ihr macht einen guten Eindruck zusammen.«
»Sie hat gedacht, sie hat sich einen ganz coolen Macker eingefangen. Und was hat sie? Eine Ruine.«
»Darauf stehen manche Frauen. Habt ihr Pläne?«
»Fiona macht dauernd Pläne. Irgendwo neu anfangen, weg von hier. Wir beide.«
»Und du?«
Tretjak überlegte. Lange, zu lange, um danach einfach nur noch irgendetwas zu sagen. »Ich misstraue ihr. Ich fühle Misstrauen. Ich frage mich, warum sagt sie das, warum macht sie das. Ich frage mich, ob da vielleicht etwas ganz anderes dahintersteckt. Solche Sachen denke ich. Ich kann nicht anders.«
»Gibt es einen Grund dafür?«
»Ich weiß es nicht. Ich misstraue nicht nur ihr. Ich misstraue allen. Auch dir. Ich kann mir vorstellen, wenn ich hier rausgehe, rufst du jemanden an, um ihm zu sagen, wie er mich fertigmachen kann. Weil du Teil einer größeren Verschwörung bist. Ich stelle mir dauernd solche Sachen vor.«
»Das wundert mich nicht. Bei deinem Job würde ich auch so denken. Und angesichts dessen, was dir passiert ist.«
»Stefan, du hast mich nach Fiona gefragt. Ich finde diese Frau toll, in manchen Momenten glaube ich, ich liebe sie. Aber wie soll das gehen bei einem Typen wie mir, der durch und durch von Misstrauen besetzt ist? Ich bin kaputt, wirklich kaputt. Ein solcher Typ sollte die Finger von netten Frauen lassen.«
»Hm«, sagte Stefan Treysa, »das könnte sein.«
»Da ist noch was«, sagte Tretjak, »ich habe dir doch den Brief meines Vaters zu lesen gegeben, seinen Abschiedsbrief. Was hältst du davon?«
»Ich habe selten etwas Schrecklicheres gelesen. Ich gebrauche das Wort äußerst selten, es gehört eigentlich nicht zu meinem Wortschatz, aber dieser Brief ist wirklich böse. Mir fällt kein anderes Wort ein.«
»Ja«, sagte Tretjak, »aber an dem Brief stimmt etwas nicht. Wieso hat sich mein Vater in diesem Moment umgebracht? Er tötet meine Putzfrau und dann sich selbst. Warum? Warum macht er nicht weiter? Warum dreht er nicht völlig durch und macht weiß Gott was? Ich verstehe das nicht. Und es gibt eine Stelle, die ist besonders merkwürdig. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst. Da schreibt er …«
»Still«, sagte Treysa, »ich will nichts davon hören. Dieser Brief ist ein hypnotisches Werk. Dein Vater hat ihn in einer einzigen Absicht geschrieben: Er soll dich weiter und weiter beschäftigen. Und er wäre zufrieden, wenn er dich jetzt hier sehen würde. Sein Plan ist dabei, aufzugehen. Wenn es jemals sinnvoll war, etwas aus dem Gedächtnis zu löschen, dann ist es dieser Brief. Lösche ihn, Gabriel. Lösche ihn für immer.«
»Es geht aber nicht nur um mich«, sagte Tretjak, »es geht um einen Fall, der gelöst werden muss. Und vielleicht kann ich das.«
»Jetzt will ich dir etwas anderes sagen: Du kennst den Begriff der Komfortzone?«
»Nein«, sagte Tretjak, »den Begriff kenne ich nicht.«
»Nichts bestimmt den Menschen so sehr wie seine Komfortzone. Das heißt, wie er sich angewöhnt hat zu denken, wie er sich angewöhnt hat zu leben. Was er tut, was er nicht tut, was er denkt, was er nicht denkt. Bei dir füge ich hinzu: wie er ein Problem löst und wie er es nicht löst. Der Mensch richtet sich in seiner Komfortzone ein und wehrt sich mit allen Mitteln, sie zu verlassen. Er erfindet Gründe, Logiken, alles Mögliche, was ihn davon abhalten soll, in eine andere Zone zu wechseln.«
»Ich erfinde gar nichts.«
»Doch«, sagte Treysa, »du fällst in dein altes Muster: Ich will einen Fall lösen und wende dazu meine Regeln an. Doch diesmal ist das nicht dein Fall. Es gibt überhaupt keinen Fall mehr. Dein Vater ist der Täter, die Geschichte ist zu Ende. Und du darfst dich nicht im Spinnennetz deines Vaters verstricken, sondern musst dich um dich kümmern. Du musst raus aus deiner bewährten Komfortzone. Jetzt geht es nur um Gabriel Tretjak, um seine Seele. Du hast keine Zeit zu verlieren, gar keine. Du weißt selbst, wie ernst die Lage ist.«
»Was meinst du mit: ernst?«
»Das weißt du am besten. Dazu kommt, dass du medikamentenabhängig bist.
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