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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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So einfach wird das nicht funktionieren mit dem Absetzen.« Treysa schaute auf die Uhr. »Die Stunde ist um. Wir sehen uns morgen wieder. Und dann gehen wir in den Maschinenraum.«
    Sie verabschiedeten sich an der Bürotür, und Tretjak war schon ein paar Stufen die Treppe hinuntergegangen, als er sich noch einmal umdrehte. Treysa nickte ihm zu. Verabschieden und sich dann noch einmal umdrehen, das hatte er schon lange nicht mehr gemacht, dachte Tretjak.
    Treysa und er hatten sich vor einigen Jahren auf einer langen Zugfahrt kennengelernt, im Orientexpress von Wien nach Istanbul. Tretjak hatte die Fahrt einer Freundin zum Geburtstag geschenkt, Schlafwagen, tolle Reise mit vollem Luxus. Im Nachbarabteil war das Ehepaar Treysa untergebracht. Man sah sich beim Frühstück, beim Abendessen, man kam ins Gespräch und mochte sich. Eine lustige Woche zu viert war es gewesen. Als sie sich in Istanbul verabschiedeten, tauschte man Nummern aus, aber man sah sich nicht wieder. Doch einige Monate später stand Tretjak auf einem Empfang im Münchner Literaturhaus, ein wenig angespannt, weil er dabei war, eine unangenehme Begegnung dreier Menschen zu organisieren, die für seinen damaligen Fall sehr wichtig war. Und plötzlich stand Stefan Treysa vor ihm, der schmale kleine Mann. Tretjak konnte ihn in dem Moment gar nicht gebrauchen und schaute an ihm vorbei, so arrogant er konnte – und er konnte sehr arrogant. Treysa verstand sofort, grinste und ging weiter. Dieses Grinsen hatte Tretjak gefallen. Am nächsten Tag rief er Treysa an. Wenn man so wollte, hatte ihre Freundschaft mit einer Lüge begonnen.
    Gabriel Tretjak ging die Buttermelcherstraße hinunter in Richtung Viktualienmarkt. Er schaltete sein Handy an. Er hatte eine Nachricht von Lichtinger. Sie lautete:
Habe lange nachgedacht. Bin mir sicher, du hast dich angelegt mit einer ganz anderen Macht. Gabriel, es geht um eine größere Dimension. Du musst anders denken, ganz anders. Ich glaube, ich kann dir helfen.

7
    Die Gerichtsmedizinerin hatte kurz nach dem Aufstehen noch überlegt, ob sie heute nicht einmal dieses neue Lokal gleich um die Ecke testen sollte. Gefüllte Kalbsbrust, eine ihrer zahlreichen Leibspeisen. Für ihre Diät wäre das nicht so gut, andererseits hatte sie irgendwo gelesen, wenn man unbedingt sündigen müsse, dann am besten mittags, auf keinen Fall abends. Jedenfalls bereitete ihr die Vorstellung von Kalbsbrust gute Laune, an diesem Morgen, der einen eher ruhigen Tag versprach. Doch dann rief Maler an.
    Sie fragte sich, ob Kommissare eigentlich ahnten, welche Folgen ein einziger solcher Anruf hatte. In diesem Fall musste sie zwei Mitarbeitern das freie und schon freudig verplante Wochenende ruinieren, sie brauchte sie für die erneute Obduktion und für die anschließenden Laboruntersuchungen. Einem dritten Mitarbeiter teilte sie mit, er solle sich bereithalten, er werde vielleicht auch noch benötigt. Sie rief bei der Staatsanwaltschaft an und beantragte die sofortige Exhumierung von drei Leichen. Sie rief bei drei verschiedenen Friedhofsverwaltungen an, um ihnen zu sagen, sie sollten ihre Arbeiter anweisen, die Leichen wieder auszugraben. Sie musste das alles selbst tun, weil ihre Sekretärin mit Magen-Darm-Grippe zu Hause geblieben war und weil es überhaupt immer am schnellsten ging, wenn man es selbst machte.
    Maler hatte im Grunde nur eine Frage gestellt: Ob sie, die Gerichtsmedizinerin, ausschließen könne, dass auch die drei früheren Opfer, die beiden Professoren und die Putzfrau, vergiftet worden waren, so wie der neue Tote, der Bankbeamte? Nein, hatte sie ziemlich rasch geantwortet, das könne sie nicht ausschließen. Sie hatte sich ja selbst gewundert, dass bei keinem Opfer Spuren eines Abwehrkampfes zu finden gewesen waren, und es sich am Ende so erklärt, dass der höchst professionell ausgeführte Stich in die Leber zu einem Schock geführt hatte, der alles lähmte. Hatte sie da etwas übersehen? Nein, sie machte sich eigentlich keine Vorwürfe. So war das immer in ihrem Beruf: Man fand eine Todesursache, warum sollte man noch nach etwas anderem suchen? Ein tödlicher Messerstich – wer kommt auf die Idee, dass zusätzlich Gift eine Rolle gespielt haben könnte? Was hätte das für einen Sinn? Aber Maler hatte recht, ausschließen konnte man es nicht. Also, ran an die Arbeit, dachte sie.
    Die Gerichtsmedizinerin mochte August Maler. Er war einer dieser immer seltener werdenden Männer, dem man ansah, dass er viel mit sich selber

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