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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gerade begeistert auf ihn zu. Am Tage war das immer so.
    »Hab Vertrauen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Dann gab er ihr einen sehr liebevollen langen Kuß.
    »Bis heute abend, Alice.«
    »Bis heute abend.«
    Der Taubstumme öffnete ihm die Tür des Wagens und winkte ihm nach, als er abfuhr.
    Er fuhr über Niort. Das war nicht die kürzeste, aber die beste Strecke. Er kam durch Dörfer mit den niedrigen Häusern der Vendée und betrachtete mechanisch mit den Augen des Fachmanns das Vieh auf den Weiden. Alles ringsum war flach, und der Himmel wirkte gewaltig. Man sah sozusagen keinen Horizont.
    Er fuhr durch Les Essarts, Mortagne, und auf den Kilometersteinen las er schon Cholet. Je näher er der Stadt kam, um so düsterer wurde seine Stimmung.
    Wenige Minuten vor neun parkte er unweit des Hauses seines Schwagers. Die Haustür war schwarz verkleidet, und in einem Wappen sah man ein ›B‹. Vorübergehende blieben einen Augenblick stehen und gingen dann weiter.
    Er ging hinein, und der Geruch von Kerzen und Chrysanthemen schlug ihm entgegen. Die Tür des Salons rechts stand offen, und der schon geschlossene Sarg war darin aufgebahrt. Er ergriff einen Buchsbaumzweig, tauchte ihn in Weihwasser und zeichnete ein Kreuz in die Luft.
    Ein junges Mädchen kam leise auf ihn zu, während er so tat, als ob er bete. Es war eine seiner Nichten, Albertine oder Josepha, er wußte nie, welche. Schließlich sah er die Bertauts so selten.
    »Ihre Frau ist im Eßzimmer.«
    Er küßte sie auf die Wange und stammelte Beileidsworte. Im Eßzimmer waren etwa zehn Personen versammelt. Einige von ihnen kannte er nicht, und Jeanne stellte ihn vor. Alle waren in Schwarz, und alle hatten eine Trauermiene aufgesetzt.
    »Willst du dich nicht frisch machen?« fragte Jeanne.
    »Das brauche ich nicht.«
    »Hast du keinen Durst?«
    Auf einem Tablett standen zwei Haschen Wein und Gläser, und er goß sich zu trinken ein. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Jeanne war ihm dankbar, daß er so früh gekommen war, wie sie ihn gebeten hatte. Einige saßen, andere standen. Jemand, er hatte seinen Namen nicht richtig verstanden, rauchte eine Zigarre.
    »Es ist für sie besser so, als wenn sie noch länger gelitten hätte.«
    Ihr Mann wirkte verloren, als wisse er nicht, an wen er sich klammern solle.
    Lecoin stand dicht neben ihm, und Bernard seufzte:
    »Es ist furchtbar. Man hat das Gefühl, alles stürzt zusammen.«
    Mehrere sprachen halblaut zugleich.
    »Sie war ein so heiterer Mensch. Im Krieg hat sie alle aufgemuntert.«
    Ein Priester erschien einen Augenblick, drückte mehreren die Hand, stammelte unverständliche Worte und verschwand.
    Auf der Straße begann es lebendig zu werden. Menschen gingen in das Zimmer, in dem die Tote aufgebahrt war, bekreuzigten sich, beteten stumm und gingen dann wieder hinaus und stellten sich auf den Gehsteig gegenüber. Auch zwei Nonnen kamen herein und knieten eine Weile vor dem Sarg.
    »Vielleicht sollte jemand Albertine ablösen.«
    Eine alte Dame, die Victor nicht kannte, opferte sich.
    »Noch ein Glas?« fragte der Ehemann Lecoin.
    Er trank auch. Er trank gewiß schon seit dem frühen Morgen, denn sein Atem roch nach Wein. Er war ein guter, rundlicher Mann mit rotem Gesicht, jemand, der zu leben verstand und plötzlich nicht ein noch aus wußte.
    Hin und wieder warf jemand einen Blick auf die Straße.
    »Die Belegschaft ist schon da.«
    Es mußten etwa vierzig Leute sein, Männer und Frauen, vor allem Frauen. Bernards Fabrik war auf mit der Hand gesäumte Taschentücher spezialisiert.
    Mehrmals spürte Victor Lecoin, daß Jeanne zu ihm hinblickte. Sie war ernst, aber man konnte in ihrem Gesicht nicht lesen, was sie dachte.
    »Der Priester und der Ministrant sind da.«
    Dann kam der Leichenwagen. Alle gingen hinaus. Man hatte den Sarg auf eine Bahre gestellt, mit einem schwarzen Tuch bedeckt und hob ihn nun in den Wagen.
    Die Kirche war kaum dreihundert Meter entfernt, und man hatte für den kurzen Weg keine Autos bestellt.
    Nach einigem Zögern formierte sich der Leichenzug.
    Auf den Gehsteigen blieben die Leute stehen, und die Männer nahmen den Hut ab. Victor und seine Frau schritten in der ersten Reihe mit den nächsten Angehörigen. Blumengebinde und Kränze türmten sich auf dem Sarg, und als man den Vorhof der Kirche erreichte, begannen die Glocken zu läuten. In den Seitengängen standen schon viele Menschen. Die Orgel erklang. Der Priester ging mit dem Ministranten in die Sakristei. Victor stand jetzt in der

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