Der reiche Mann
verstehst du nicht? Wenn du in unserm Schlafzimmer bleiben willst, bitte. Ich werde bei ihr schlafen.‹
Es gelang ihm nicht ganz, seine Verwirrung zu verbergen.
»Weiß Gott, du hast genug Abenteuer gehabt«, sagte sie, »aber es ist das erstemal, daß ich dich so sehe.«
»Was soll das heißen?«
»Bist du verliebt, Victor?«
»Nein.«
Dieses Nein fiel ihm schwer, und er bat in seinem Inneren Alice um Verzeihung, aber was hätte er anders antworten können?
»Haben die Leute im Dorf etwas davon gemerkt?«
»Wovon?«
»Von eurer Beziehung. Du scheinst nicht mehr zu verstehen, wenn ich mit dir spreche. Es gibt Dinge, die man, wenn man dich kennt, leicht errat. Und die Frauen im Dorf brauchen nicht erst darauf zu warten, dich mit ihr Arm in Arm promenieren zu sehen, um es zu merken.
Ganz zu schweigen von dem Taubstummen, der alles weiß. Wenn es sich um dich handelt, ist in seinen Augen alles gut.«
Lecoin fühlte sich immer unbehaglicher. Sie setzte alles herab. Er war sich klar darüber, daß seine Liebe sich von jetzt an auf flüchtige Umarmungen beschränken würde. Wie er Alice kannte, würde sie unverwandt zur Tür blicken.
Für sie war Jeanne die Herrin, und sie respektierte sie.
»Nun, das wird so schnell vergehen, wie es gekommen ist.«
Er kochte innerlich, bemühte sich aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Sieh mal, wie schnell du fährst!«
Er fuhr über hundertzwanzig und hatte es noch gar nicht gemerkt.
»Ich habe Durst«, murmelte er, als sie sich einem Dorf näherten.
Er hielt vor einer kleinen Kneipe mit blaugestrichener Fassade.
»Steigst du auch aus?«
»Nein. Vergiß nicht, daß du fahren mußt.«
Er zuckte die Schultern. Zum erstenmal in ihrer Ehe lehnte er sich auf, und je mehr sie sagte, desto mehr haßte er sie.
Hinter der Theke in dem kleinen Schankraum, in dem kein Gast war, stand ein junges Mädchen.
»Haben Sie guten Cognac?«
Sie deutete auf eine Flasche im Regal.
»Ich habe den dort.«
»Schenken Sie mir ein großes Glas ein.«
»Einen doppelten?«
»Ja, einen doppelten.«
Ihm zitterten die Hände vor Erregung.
»Bitte noch einen.«
Es war ihm peinlich, vor diesem jungen Mädchen so viel zu trinken.
»Auch einen doppelten?«
»Ja.«
Er suchte nach Geld in seiner Tasche und trank sein Glas langsamer aus. Im Wagen starrte Jeanne vor sich hin, und wenn man sie so sah, ruhig und steif, wirkte sie wirklich wie die Besitzerin.
»Danke, Mademoiselle.«
»Hast du Cognac getrunken?«
»Ja.«
»Wie viele, zwei drei, vier?«
Er zuckte die Schultern, ohne darauf zu antworten. Dreiviertel Stunde später sahen sie die ersten Häuser von Marsilly und das Meer, das zu ihrer Rechten im Schein der untergehenden Sonne glitzerte.
7
Als er durch das Tor fuhr, hatte Jeanne schon den Schlüssel aus ihrer Handtasche genommen, und er hielt einen Augenblick vor der Treppe, damit sie aussteigen konnte.
Dann fuhr er zur Garage und war ein wenig überrascht, daß er den Taubstummen nicht sah. Wenn er sonst zurückkam, tauchte er nämlich von irgendwo auf, als habe er sein Kommen gewittert.
Als er ins Haus kam, hatte seine Frau weder ihren Hut abgesetzt noch den Mantel ausgezogen. Sie kam aus der Küche.
»Merkwürdig. Alice ist nicht unten.«
Und sofort dachte er, sie habe sich vielleicht seine Abwesenheit zunutze gemacht, um auf und davon zu gehen. Und sein Gesicht verriet sicher diesen Gedanken.
»Sie ist vielleicht im ersten Stock«, murmelte Jeanne.
»Was sollte sie zu dieser Zeit dort tun?«
Es stand nichts auf dem Feuer, kein Topf, nicht einmal der Wasserkessel. Er lief, immer vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Schlafzimmers, in dem aber, wie er schon erwartet hatte, niemand war.
Das Bett, das in der Nacht zuvor nicht benutzt worden war, war unberührt, und als er an dem Spiegelschrank vorbeikam, sah er sein verstörtes Gesicht.
Er ging in den zweiten Stock, stieß die Tür zu Alices Zimmer auf und blieb wie angewurzelt stehen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Schrie er wirklich? Es war ihm, als stieße er einen wilden Schrei aus, während er auf das Bett zustürzte. Alice lag in ihrem kleinkarierten Kittel ausgestreckt darauf. Ihre offenen Augen waren glasig, und aus ihrem offenen Mund hing die Zunge heraus. Ihre Haut war schon bläulich gefärbt.
»Sei ruhig, mein armer Victor.«
Seine Frau, die ihm nachgekommen war, stand auf der Schwelle und schien den ganzen Türrahmen auszufüllen.
Fast
Weitere Kostenlose Bücher