Der reiche Mann
Dienstmädchen. Sie liegt oben auf ihrem Bett. Man hat sie erwürgt.«
Hauptmann Dartois ging gerade hinauf, als man leise Schritte auf der Treppe draußen hörte, und zu aller Überraschung war es Doudou, der hereinkam und erstaunt zu sein schien, so viele Leute versammelt zu sehen.
Er blickte Lecoin demütig an, als ob er ihn um Verzeihung bitten wolle.
Die anderen standen wie erstarrt da, so erschüttert waren sie. Er war wie immer auf bloßen Füßen, hatte keine Mütze auf dem Kopf und blickte auf seine Hände.
Dann versuchte er, sich mit Gesten verständlich zu machen. Lecoin war der einzige, der verstand, was er damit sagen wollte. Erst zeigte er auf seinen Mund und grinste seltsam. Dann hob er eine Hand bis zur Höhe seiner Schulter, um zu zeigen, daß es sich um jemanden handelte, der sehr klein war.
Theo. Es war kein Zweifel möglich.
Dann zeigte er zur Decke und deutete damit auf die oberen Stockwerke.
Lecoin erklärte es dem Hauptmann.
»Theo Porchet war in meiner Abwesenheit hier und ist in den zweiten Stock hinaufgegangen.«
Doudou, der von seinen Lippen las, was er sagte, machte ein Zeichen, daß das nicht ganz stimmte. Er zeigte auf die Küche und zeichnete eine Frauengestalt in die Luft. Dann hob er zwei Finger und deutete wieder auf die Treppe.
Lecoin erstarrte. Mit leiser, kaum vernehmbarer Stimme stammelte er: »Sie sind beide hinaufgegangen.«
»Der Klempner und sie?«
Er nickte.
Jetzt deutete der Taubstumme auf den Hof, und schließlich schlug er sich auf die Brust. Er hatte das durchs Fenster gesehen.
Er erklärte das Geschehene weiter mit Gesten, und Lecoin übertrug sie in Worte.
»Er hat sie durch das Fenster gesehen. Er ist ins Haus gegangen und leise hinauf geschlichen.«
Die immer komplizierteren Gesten sagten den anderen nichts, die sich Victor zuwandten.
»Er hat die beiden in einer Situation vorgefunden, die…«
Er schluckte laut, und er hatte gerade noch die Zeit, sich an die Wand zu lehnen und sein Gesicht in den Händen zu verbergen, ehe er in Schluchzen ausbrach.
Alle schwiegen. Es war unheimlich, diesen starken und sonst so selbstsicheren Mann wie ein Kind weinen zu sehen. Niemand rührte sich. Niemand versuchte, ihn zu trösten oder ihm liebevoll die Hand auf die Schulter zu legen, denn jeder, auch und vor allem Jeanne, spürte, daß das sinnlos war.
Das Gesicht des Taubstummen war völlig verstört. Er verstand das alles nicht mehr. Er hatte getan, was zu tun er für seine Pflicht hielt.
Als Lecoin sich schließlich umdrehte und mit dem Ärmel seine Wangen wischte, reichte ihm Jeanne ein Glas, das er aber mit einer Handbewegung von sich stieß, so daß es auf den Fußboden fiel und zerbrach.
8
Keiner rührte sich, und im Haus war es totenstill. Lecoin wandte sich seinem Knecht zu und sagte mühsam, jede Silbe artikulierend, damit er auch wirklich verstanden wurde: »Warum hast du sie erwürgt?«
Er konnte dabei nicht umhin, auf die riesigen Hände des Taubstummen zu blicken.
Doudou wirkte überrascht, als ob er auf diesen Vorwurf nicht gefaßt sei.
Man spürte, er litt darunter, und er bemühte sich, alles zu erklären. Zunächst deutete er auf Lecoin. Darauf zeichnete er wieder eine Frauengestalt in die Luft, die er dann zu umarmen schien.
»Er sagte, ich hätte sie geliebt.«
Doudou nickte. Es spielte jetzt keine Rolle mehr, ob die anderen es wußten, und hatte Victor sich nicht sowieso schon verraten?
Er sagte zu seiner Frau: »Bring mir doch einen Cognac.«
Er war am Ende seiner Kräfte und schwankte.
»Und Sie, Doktor?«
»Ja, gern.«
Sie waren im Eßzimmer, in einer vertrauten Umgebung, wo jedes Ding an seinem Platz stand und alles blitzblank war. Durch die offene Tür sah man einen Teil der Küche und hinter deren Fenster den Hof, den die Sonne noch ein wenig beschien. Als Jeanne dem Hauptmann einen Cognac eingießen wollte, schüttelte er den Kopf. Wachtmeister Cornu, der gleich zu Anfang ein dickes Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche gezogen hatte, vergaß, Notizen zu machen.
»Und dann, Doudou?« fragte Lecoin.
Der Taubstumme verstand die Frage nicht. Für ihn war das alles so natürlich. Mit einer beredsamen Geste zeigte er zwei Menschen im Liebesspiel.
Diesmal brauchte Victor es nicht zu erklären.
Er deutete wieder auf die Küche und dann auf die Decke. Bedeutete das nicht, daß in seinen Augen Alice die Verräterin war? Der Mann hätte irgendwer sein können.
Sie war es, die Lecoin liebte und die er
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