Der reiche Mann
Krankenhaus ist, zu besuchen.«
»Ist sie schwer krank?«
»Nein. Sie ist Krankenschwester.«
Sie faßte ihn unter, als sei das ganz selbstverständlich.
»Ich kenne ein kleines Hotel«, sagte Lecoin, »wo man uns keine Fragen stellen wird.«
»Nummer 7, Monsieur Victor.«
»Was möchten Sie trinken?«
»Ich bin nicht besonders durstig.«
»Champagner?«
»Ja, den gern.«
»Lassen Sie eine Flasche Champagner heraufbringen.«
»Ja, Monsieur Victor.«
Für die einen war er der Chef, für andere Monsieur Victor, für seine Frau Lecoin und für Nenette schließlich ganz einfach Victor.
Er bedauerte, sich körperlich so ausgegeben zu haben, aber seine Robustheit würde ihm schon helfen.
»Kommen Sie manchmal nach Paris?«
»Einmal jedes Jahr oder alle zwei Jahre.«
»In welchem Viertel wohnen Sie dann?«
»Immer in der Nähe der Gare Montparnasse.«
»Ich wohne in der Rue Vavin. Das ist nicht weit entfernt.«
Sie wirkte nicht wie eine Prostituierte, sondern wie eine wirkliche Dame. Ihr gegenüber war er verlegen. Als man ihnen den Champagner brachte, hatte er sie noch nicht angerührt.
»Und Sie? Sind Sie aus La Rochelle?«
»Aus Marsilly.«
»Sie sind Besitzer eines Fischdampfers.«
Sie hatte sich durch die Marinemütze, die er wie die meisten Muschelzüchter trug, täuschen lassen.
»Ich züchte Muscheln«, sagte er, als scherze er.
»Sie machen sich über mich lustig, nicht wahr?«
»Nein. Es ist die reine Wahrheit. Man rammt Pfähle ins Meer, dort, wo bei Ebbe das Wasser zurückweicht. Zwischen den Pfählen bringt man Faschinen an. Man braucht nur kleine Muscheln aus dem Meer zu holen und sie an diesen Faschinen zu befestigen. Diese winzigen Muscheln kleben aneinander, hin und wieder sieht man nach ihnen, setzt sie eventuell an eine andere Stelle und entfernt die Krabben und Seesterne. Nach einem Jahr sind sie schon gewachsen, und manche verkaufen sie dann bereits. Aber mit zwei Jahren sind sie noch schöner und mit drei Jahren noch fetter.«
»Auf Ihr Wohl.«
»Auf das Ihre. Bleiben Sie lange in La Rochelle?«
»Ich fahre morgen wieder ab. In einer Stunde treffe ich meine Mutter. Sie hat dann frei.«
»Schade.«
»Warum.«
»Weil wir beide gute Freunde geworden wären. Kommen Sie oft her?«
»Ungefähr einmal alle sechs Monate.«
»Wenn Sie wiederkommen, schreiben Sie mir vorher ein paar Zeilen.«
Er zog ein Notizbuch aus seiner Tasche und schrieb seine Adresse auf.
»Wird Ihre Frau nichts dagegen haben?«
»Nein.«
»Ist sie nicht eifersüchtig?«
»Nein.«
»Da können Sie aber von Glück sagen. Sind Sie wirklich sicher, daß ihr das keinen Kummer macht?«
»Ja.«
»Soll ich mich ausziehen?«
Doch das tat er, zog sie freilich nicht ganz aus. Es war ihm lieber, daß es so aussah, als ob er sich ganz plötzlich dazu entschlossen hätte.
Er blieb lange mit ihr zusammen und unterhielt sich, was er sonst selten tat. Um seine etwas gedämpfte Leidenschaft zu erklären, erzählte er ihr von den drei Mädchen bei Nenette, und wie er es schon erwartet hatte, blickte sie ihn bewundernd an.
»Sie sind ja ein Toller!«
Sie duzte ihn nicht. Sie hatte ihn nicht ein einziges Mal ›mein Liebling‹ genannt. Er wußte nicht, woran er mit ihr war, und es kostete ihn einige Überwindung, als die Flasche geleert war, seine Brieftasche herauszuziehen. Er nahm ein paar Geldscheine heraus, ergriff ihre Handtasche und steckte sie hinein. Sie hatte es gesehen, aber sie protestierte nicht.
»Werden Sie mir schreiben?«
»Bestimmt.«
»Also dann in sechs Monaten!«
Er schwankte ein ganz klein wenig, aber er steuerte seinen Lastwagen trotzdem sicher nach Hause und fuhr ihn in die Garage. In Doudous Hütte brannte Licht. Im Hause ebenfalls. Es war erst neun Uhr. Wie immer ging er durch die Küche hinein. Seine Frau zeigte Alice gerade, wie sie das Geschirr wegräumen sollte.
»Hast du schon zu Abend gegessen?« fragte sie ihn.
»Nein. Aber das macht nichts.«
»Es hat heute abend Fisch gegeben, und aufgewärmter Fisch schmeckt nicht gut. Was möchtest du gern essen? Schinken hast du heute mittag gehabt.«
»Brot und Käse und dazu ein Glas Weißwein.«
Sie beobachtete ihn nicht neugierig um dahinterzukommen, woher er kam, oder was er gemacht hatte. Sie wußte Bescheid. Wie er gesagt hatte, seine Seitensprünge ließen sie kalt.
Hatte es je liebe zwischen ihnen gegeben? Vielleicht ganz im Anfang, als sie achtundzwanzig und er fünfundzwanzig war. Er hatte einen Bauernhof ›Les Quatre
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