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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Vents‹ gepachtet, der ihm jetzt gehörte, und den sein Bruder verwaltete. Er hatte Charles de Rosy gehört, in dessen prächtigem Haus sie jetzt wohnten.
    Jeanne war damals Lehrerin, und er war schon mit dreizehn von der Schule abgegangen.
    Was hatte ihn so an ihr beeindruckt? Und warum war sie bereit gewesen, ihn zu heiraten? Hatte sie seine Kraft gespürt, seinen Willen, vorwärtszukommen?
    Sie hatte ihm geholfen. Sie half ihm noch, soviel sie konnte, aber darauf beschränkte sich ihre Intimität. Von der Ehe war im Grunde nur das große, breite Bett für zwei übriggeblieben, in dem jeder auf seiner Seite lag.
    Sie waren Geschäftspartner.

 
    2
     
     
     
    Er stand um halb sechs auf, wie er das, im Sommer wie im Winter, sein Leben lang getan hatte. Als er noch Knecht war, war er noch früher aufgestanden, denn damals wurde noch nicht elektrisch gemolken, und man mußte die Kühe um halb fünf morgens melken.
    Der zweite Platz im Bett war leer. Jeanne war schon auf, und er hörte sie unten auf und ab gehen.
    Er ging ins Badezimmer, duschte und rasierte sich. Er gehörte nicht zu denen, die sich nur alle zwei oder drei Tage rasieren oder gar nur am Samstag.
    Im Schlafzimmer standen wie im übrigen Haus alte Möbel, vor allem schwere Louis-Philippe-Möbel aus massivem Holz. Fast alle hatte er auf Versteigerungen erstanden.
    Am Abend zuvor war er erst ziemlich spät eingeschlafen. Er hörte das regelmäßige Atmen seiner Frau, das manchmal wie ein Pfeifen klang.
    Alice, die ihr Zimmer genau über ihnen hatte, schlief gewiß auch schon.
    War jemand im Haus wirklich glücklich? Wenn er nicht ein wenig betrunken gewesen wäre, hätte er sich die Frage nicht gestellt. War Jeanne glücklich?
    Sie klagte nie. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Sie arbeitete von morgens bis abends und ging nie aus, außer um etwa einmal im Monat in La Rochelle Besorgungen zu machen. Woran dachte sie, wenn sie den ganzen Tag allein war? Und warum hatte sie ihn geheiratet? Mit diesen Gedanken erwachte er. Er hatte keinen Kater. Auch nach dem schlimmsten Besäufnis war er am nächsten Tag so frisch wie immer.
    Er zog sich an und ging ins Eßzimmer hinunter, wo für ihn gedeckt war. Die Küchentür stand offen, und er sah, daß Jeanne Alice zeigte, was sie tun sollte. Das Mädchen hatte dasselbe schwarze Kleid wie am Tag zuvor an; sicherlich war es das einzige, das sie besaß, und sie war schlecht frisiert und ein bißchen blaß, weil sie früh hatte aufstehen müssen.
    Wieder sah er sie und den Lumpen Paquôt, der sich zynisch an ihr verging, vor sich.
    »Guten Morgen, Lecoin.«
    »Guten Morgen, Jeanne.«
    Alice stellte ihm einen Teller von der gestrigen Suppe hin, die man für ihn aufgewärmt hatte. Es war so wie jeden Morgen. Er aß eine reichliche Mahlzeit, mit Eiern, Speck, Käse und manchmal etwas Obst zum Abschluß. Im Winter verzehrte er öfter eine große Portion gekochter Maronen mit Bauernbrot und Butter.
    Draußen war es noch dunkel. Er drehte sich zum Schluß seine erste Zigarette, erhob sich dann, zog seine Stiefel und seine schwarze Lederjacke an und setzte seine Seemannsmütze auf. Für ihn war das fast eine Uniform; selbst wenn er in die Stadt fuhr, trug er kaum etwas anderes.
    Er hatte eine angenehme Erinnerung an den Tag zuvor, an dem er die junge Frau in dem Café kennengelernt hatte, und er hätte sie gern wiedergesehen. Er hatte ihr seine Adresse auf ein Stück Papier geschrieben. Würde sie ihm wirklich Nachricht geben, wenn sie wieder nach La Rochelle kam? Was tat sie in Paris? Ging sie auf den Strich? Er konnte es kaum glauben. Sie hätte dann bestimmt nicht so frisch gewirkt.
    Alles mögliche ging ihm durch den Kopf. Er mußte zum Beispiel daran denken, wie er seine Frau auf dem Dorffest in Nieul kennengelernt hatte. In dem großen Zelt, in dem getanzt wurde, forderte sie niemand zum Tanz auf. Nicht weil sie weniger hübsch war als die andern, sondern weil sie Lehrerin war und die jungen Leute eine gewisse Scheu vor ihr hatten.
    Sie saß auf einer der Bänke am Rande des Zelts, hatte die Hände in den Schoß gelegt und starrte vor sich hin.
    »Darf ich Sie zum Tanz auffordern?«
    Es war fast tollkühn, denn er war davon überzeugt, daß sie ihm einen Korb geben würde.
    Aber sie hatte sich erhoben und war mit ihm auf die Tanzfläche gegangen.
    Beim Tanzen war sie ein wenig steif, als wolle sie jede Annäherung abwehren. Er wußte nicht, was er zu ihr sagen sollte. Er war damals noch sehr tapsig.
    »Werden Sie auch auf

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