Der reiche Mann
das Fest in Marsilly kommen? Es ist in einem Monat.«
Er hatte sie zu ihrem Platz zurückgeführt.
»Was darf ich Ihnen vom Büfett holen?«
»Eine Limonade, wenn es welche gibt.«
Er war zweiundzwanzig Jahre alt, und er war nicht gewöhnt, Mädchen gegenüber lange zu fackeln.
»Sind Sie aus der Gegend?«
»Aus Bressuire in den Deux-Sevres.«
»Sind Sie auf dem Land geboren?«
»Mein Vater ist Futterhändler.«
Weil er fürchtete, ihr lästig zu fallen, hatte er sich entfernt, hatte aber nicht mit anderen Mädchen getanzt. Noch zweimal hatte er sie geholt. Sie blickte ihn geradezu dankbar an, als ob er ihr ein Opfer brächte.
Sie war damals noch schlank und hatte ein weniger hartes Gesicht und einen geschmeidigeren Körper.
War er wirklich verliebt gewesen? Nach so vielen Jahren erschien ihm das merkwürdig. Drei, vielleicht sechs Monate. Er hatte sie manchmal abgefangen, wenn sie aus der Schule kam, aber er hatte immer ein Minderwertigkeitsgefühl gehabt.
»Wissen Sie, ich bin völlig ungebildet. Ich habe die Schule mit dreizehn Jahren verlassen und habe nicht einmal ein Abschlußzeugnis.«
Sie lächelte milde, denn damals lächelte sie noch.
»Lieben Sie Ihren Beruf?« fragte er sie.
»Ich kenne mich in keinem anderen aus.«
»Auf einem Bauernhof zu leben, würde Ihnen wohl nicht gefallen?«
»Warum nicht?«
»Weil da die Arbeit nie aufhört. Es gibt immer etwas zu tun.«
Drei Monate später hatten sie in Bressuire geheiratet. Sie hatte drei Schwestern, die ihn mißtrauisch musterten. Ihr Vater dagegen schien für ihn zu sein.
Sie hatten keine Hochzeitsreise gemacht. Der Hof wartete auf sie, und sofort war Jeanne in die Routine eingespannt worden.
Konnte man von Flitterwochen sprechen? Sie war noch Jungfrau, und das hatte ihm imponiert. Er hatte sich bemüht, nicht brutal zu sein, aber in den Monaten, die dann folgten, mußte er feststellen, daß sie auf seine Liebkosungen nicht reagierte, sondern sie nur gehorsam und geduldig über sich ergehen ließ. Nach einem Jahr erwartete sie immer noch kein Kind, und er mußte sich damit abfinden, daß sie wahrscheinlich nie Kinder bekommen könnte.
Sie lebte sich immer mehr in die harte Welt des Hofes ein, ohne davon Aufhebens zu machen und ohne daß es sie zu ermüden schien.
Gefühle hatten da keinen Platz. Er hatte sie im Grunde sehr gern, aber es war keine Liebe.
»Ich werde zu Daniel fahren.«
Das war sein um fünf Jahre jüngerer Bruder. Die Leute sagten von ihm: »Einen so guten Menschen gibt es nicht noch einmal.«
Trotzdem hatte es Daniel in seiner Jugend nie länger als sechs Monate in einer Stellung ausgehalten. Er war aber erst mit sechzehn Jahren von der Schule abgegangen.
Er war der Liebling des Vaters, war ein hübscher Junge, und als Kind hatte er schöne Locken.
Aber er war ein Schwächling. Er hatte in La Rochelle bei einem Metzger gearbeitet und dann in verschiedenen Berufen mal hier, mal dort.
Er hatte Véronique geheiratet, die damals bei einem Friseur an der Place d’Armes tätig war, und das war das Glück seines Lebens gewesen.
Als Victor Lecoin das Haus kaufte, in dem er jetzt wohnte, und seine Muschelzucht vergrößerte, hatte er seinem Bruder und Véronique den Hof ›Quatre Vents‹ überlassen, der ihm aber weiter gehörte.
Der Hof lag ganz für sich, fast am Ufer des Meeres, zwischen Esnandes und Marsilly. Ein großes Wohnhaus, mehr als zwanzig Hektar Boden und mehrere Ställe gehörten dazu. In dem einen standen zwanzig Kühe, in einem anderen ein Dutzend Kälber und in einer Ecke mit einem Ring in der Nase ein prächtiger Stier.
Er fand Véronique damit beschäftigt, die Melkbecher der elektrischen Maschinen über die Euter der Kühe zu stülpen. Sie war noch nicht angezogen, sah aber trotzdem hübsch aus.
»Ist Daniel nicht da?«
»Er macht sich gerade für den Markt in Niort fertig. Er wollte bei dir vorbeikommen.«
Daniel liebte die Märkte, die Cafés, in denen es laut zuging und in denen die Luft ganz dick von Pfeifen- und Zigarettenqualm war und es so stark nach billigem Wein roch, daß es einem übel wurde. Er konnte dort stundenlang mit Freunden diskutieren, wobei er einen Schoppen nach dem anderen trank, und kam meistens erst in der Nacht zurück.
Véronique war geduldig, sie machte ihm nie Vorhaltungen, selbst wenn sie in ihrem Inneren eifersüchtig war. Aber war er nicht der Mann? Sie wartete bis Gott weiß wann auf ihn, und manchmal mußte sie ihn ausziehen und zu Bett bringen.
Vor Victor
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