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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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schwiegen die Leute, außer, wie am Tage zuvor, der kleine Lump Theo, der den Clown gespielt hatte. Daniel dagegen zeigten sie große Sympathie, und er konnte jeden um Hilfe bitten. Auch die Frauen fanden ihn reizend und weideten sich an seiner ewig guten Stimmung.
    Für Daniel war nichts wichtig, nichts ernst. Kam nicht alles immer wieder ins Lot?
    »Ich werde zu ihm gehen.«
    Als er an dem Gemüsegarten vorüberkam, der an das Haus grenzte, bemerkte er seinen Vater, der jetzt über achtzig war und immer krummer wurde. Er wirkte wie ein Buckliger, aber er arbeitete trotzdem immer noch.
    »Tag, Vater.«
    »Tag, mein Sohn.«
    Sie waren beide grundverschieden. Der Alte war nie groß gewesen, und er war ein Schweiger, ein Einzelgänger, der fast zwanzig Jahre lang auf demselben Hof Knecht gewesen war. Er hatte keinen Ehrgeiz.
    Hatte er nicht immer Victor als einen Fremden betrachtet? Sein wirklicher Sohn, der, bei dem zu leben er sich schließlich entschlossen hatte, war Daniel.
    Und Daniel, der Stimmen gehört hatte, öffnete die Haustür.
    »Ich wollte gerade zu dir.«
    »Deine Frau hat es mir eben gesagt.«
    »Kommst du einen Augenblick herein?«
    »Ja. Und ich würde gern ein Glas Wein trinken.«
    Sein Bruder war im Straßenanzug. Er war einen Kopf kleiner als er und hatte viel feinere Züge.
    In dem großen Kamin loderten Scheite. Im Haus war es warm und behaglich. Es hieß, es sei einst von Mönchen erbaut worden und ein unterirdischer Gang habe es bei der Belagerung der Stadt mit La Rochelle verbunden.
    In den Mauern waren jedenfalls noch hier und dort gemeißelte Steine, und in einem der Zimmer hatte man eine Nische freigelegt, in der gewiß einst die Statue eines Heiligen gestanden hatte.
    Der Tisch war lang und blank. Daniel ging in den Keller hinunter, um Wein zu holen, brachte Gläser, die er füllte, und setzte sich dann seinem Bruder gegenüber. »Auf dein Wohl!«
    »Auf deins!«
    Daniel war immer etwas scheu vor Victor.
    »Du wirst wieder sagen, ich könne nicht rechnen und kostete dich viel.«
    »Bis jetzt habe ich noch nichts gesagt.«
    »Ich fahre gleich nach Niort. Ich war schon in der vorigen Woche dort. Wir haben den Traktor jetzt zehn Jahre. Alle zwei oder drei Tage streikt er. Manchmal kann ich ihn selbst reparieren, was freilich Stunden dauert, aber oft muß ich einen Mechaniker rufen. Das letzte Mal, als ich deiner Frau die Rechnungen gezeigt habe, hat sie gesagt, das werde nachgerade teuer.«
    »So daß du dir einen neuen Traktor kaufen möchtest?«
    »Nach zehn Jahren scheint mir das nicht übertrieben. Ich habe einen in Niort gesehen, der etwas stärker ist und genau der richtige wäre.«
    »Wieviel kostet er?«
    »Fünfzehntausend.«
    Victor Lecoin drehte sich eine Zigarette und blickte seinen Bruder nachdenklich an.
    »Und wie lange wird es dauern und du hast ihn genauso zur Strecke gebracht wie den ersten?«
    »Sag doch gleich, daß ich keinen Traktor fahren kann. Übrigens, meistens benutzt meine Frau ihn.«
    Denn Véronique machte alles, pflügte und mähte, und immer hatte sie ein rotes Tuch um den Kopf gebunden.
    Meistens trug sie eine Hose aus grobem, blauem Leinen und eine Lederjacke.
    »Ich werde tun, was du willst, aber ich habe dich gewarnt. Jetzt ist er wieder kaputt. Man müßte den Anlasser und das Getriebe auswechseln.«
    »Geh bei Jeanne vorbei und laß dir das Geld geben. Ich sage ihr Bescheid.«
    »Im Grunde bist du ein Prachtkerl.«
    »Im Grunde?« sagte Victor ironisch.
    »Es ist nicht leicht, aus dir klug zu werden. Bei dir weiß man nie, woran man ist, weil man nicht weiß, was du denkst.«
    Wozu ihm sagen, daß er in seinen Augen ein Versager war und daß er ohne ihn wahrscheinlich arbeitslos sein würde?
    »Wie geht’s Vater? Ich habe ihn vorhin im Gemüsegarten gesehen, obwohl es noch fast dunkel ist.«
    »Er hängt an seinen Gewohnheiten.«
    Der alte Lecoin rauchte nicht, trank nicht, hatte aber immer das Ende eines Streichholzes zwischen den Lippen.
    »Er klagt nie und hat immer noch guten Appetit. Holst du Muscheln?«
    »Ja.«
    »Du sollst ja ein neues Dienstmädchen haben.«
    »Ja, seit gestern.«
    »Man hat mir auch gesagt, ihr früherer Herr habe ihretwegen Ärger gehabt.«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Das weiß ich nicht mehr. Es war im Café in Charron.«
    Daniel hätte alle seine Tage in Cafés verbringen können, nicht weil er gern pichelte, er trank gewöhnlich ziemlich mäßig, sondern der Atmosphäre, des Stimmengewirrs, des Rauchs wegen, der wie ein

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