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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Nebel über den Köpfen aufstieg.
    »Wann wird der Traktor geliefert?«
    »Morgen. Heute können sie des Markts wegen nicht.«
    »Wann treibst du das Vieh auf die Weide?«
    »In vierzehn Tagen, dann wird das Gras etwas höher sein.«
    »Und die Schafe?«
    Sie weideten auf der niedrigen Wiese, wie man sagte, am Meeresufer.
    Es waren etwa fünfzehn.
    »Ich habe sie in der vorigen Woche geschoren.«
    »Allein?«
    »Mit Véronique.«
    Jeanne half auch, aber auf eine steife, unpersönliche Art. Sie tat gewissenhaft ihre Pflicht, nicht mißmutig, doch, wie es schien, auch ohne Freude.
    Véronique dagegen war immer heiter, und wenn sie ihren Mann ansah, spürte man, daß sie in ihn verliebt und bereit war, ihm altes zu verzeihen.
    »Hast du Kühe, die kalben werden?«
    »Zwei werden noch in diesem Monat ein Kälbchen bekommen und eine weitere im nächsten Monat. Sobald ich sie auf die Weide treiben kann, werde ich drei oder vier Kälber verkaufen, sonst fehlt es an Platz.«
    Victor besaß noch weitere Weiden, einige davon mehrere Kilometer entfernt, die er an Metzger in La Rochelle verpachtete, damit sie ihre Tiere dort mästen konnten.
    Er hatte kein Vertrauen zu Banken und hielt schon gar nichts von Wertpapieren, die Charles de Rosy ruiniert hatten. Das Geld, das er verdiente, legte er in gutem Boden an.
    Wenn in der Gegend kein Boden verkäuflich war, kaufte er Goldstücke, mit denen er allmählich Flaschen füllte, die er dann nachts an nur seiner Frau und ihm bekannten Stellen vergrub.
    Er goß sich ein zweites Glas Wein ein, das er in einem Zug austrank.
    »Ich sage Jeanne also Bescheid. Laß dich nicht übers Ohr hauen. Wiedersehn!«
    Er ging mit schweren Schritten hinaus und stieg in seinen Wagen.
    Jeanne war schon im Büro. Oben hörte man Alice, die das Schlafzimmer aufräumte, hin und her gehen.
    »Daniel wird herkommen und dich um Geld bitten. Der Traktor scheint hin zu sein, und er wird sich in Niort einen neuen kaufen.«
    »Wieviel kostet er?«
    »Fünfzehntausend Francs.«
    »Ich habe genug im Geldschrank.«
    Es war ein alter, sehr großer und schwerer Geldschrank, wie man sie früher herstellte und den ein nur bißchen geschickter Einbrecher im Handumdrehen hätte knacken können.
    »Ist Doudou da?«
    »Vorhin hat er die Lastwagen gewaschen.«
    Im Flur zögerte er einen Augenblick, ging dann in den ersten Stock hinauf und ins Schlafzimmer, wo Alice sich gerade nach vorn beugte, um das Bett zu machen.
    »Ich habe mein Taschentuch vergessen«, fühlte er sich bemüßigt zu erklären, was so gar nicht zu seinem Charakter paßte.
    Er nahm eins aus dem Kommodenfach. Sie blickte ihn ernst an, als frage sie sich, wessen sie sich bei ihm gewärtigen müsse.
    »Mögen Sie das Haus?«
    »Es ist praktisch.«
    »Können Sie kochen?«
    »Nur einfache Gerichte. Madame zeigt es mir. Sie ist sehr nett zu mir.«
    »Ich werde versuchen, es auch zu sein.«
    Er verließ das Zimmer ein wenig beschämt über sich. Hatte er nicht gerade einer Halbwüchsigen den Hof gemacht? Er hätte am liebsten nicht mehr an sie gedacht, aber er sah sie immer wieder vor sich. Seine Frau, die ihn hatte hinaufgehen hören, hatte es gewiß erraten, so wie sie alles erriet. Und gerade das war es, was ihm an ihr mißfiel. Er hatte seine Mutter kaum gekannt, die kurz nach Daniels Geburt gestorben war. Er war damals erst sechs Jahre alt.
    Allmählich hatte Jeanne aufgehört, seine Frau zu sein, und spielte jetzt mehr oder weniger die Rolle der Mutter. Eine nachsichtige Mutter, der es aber an Wärme und Liebe fehlte. Er hatte nie Liebe kennengelernt; nie war jemand liebevoll zu ihm gewesen, und auch sein Vater hatte sich kaum um ihn gekümmert. Der Alte konnte weder lesen noch schreiben. Er ging selten ins Café und sprach nur, wenn es unbedingt notwendig war.
    War er nicht beschränkt? Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich. Er lebte ähnlich wie Doudou, nur daß er im Haus schlief und bei Tisch mitaß.
    Im Flur neben der Garderobe sitzend, zog Lecoin seine hohen Stiefel an und ging zur Garage, wo er den Taubstummen vorfand, der die Windschutzscheibe des Lastwagens putzte und ihn freundlich anlächelte.
     
     
    Das Meer funkelte in der strahlenden Sonne, und in der Ferne sah man die braunen Segel der Fischerboote, die ihre Schleppnetze hinter sich herzogen.
    Das Wasser hatte sich etwas weiter zurückgezogen als am Tag zuvor, so daß man die Kiesel auf dem Grund, Schlammpfützen und die Pfähle der Muschelbänke sah, die unten mit einer dicken Schicht

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