Der Reisende
hatte, habt ihr beide, du und Alvin, den Unschöpfer schon in Schach gehalten. Zumindest seine tödlichen Tricks. Doch der Unschöpfer fand eine andere Möglichkeit, den Jungen zu verderben. Haß und Neid. Wenn du Alvin liebst, Peggy, finde das Herzfeuer seines jüngeren Bruders. Er muß irgendwie zurückgeholt werden, bevor es zu spät ist.«
»Warum? Ich weiß nichts von Calvin, abgesehen von seinem Namen, und daß Alvin Hoffnungen in ihn setzt.«
»Wie die Fäden jetzt verlaufen, wird Alvins Faden enden, wenn Calvins den seines Bruders wieder berührt.«
»Er tötet ihn?«
»Woher soll ich das wissen? Wir lernen, was wir lernen können, doch die Fäden verraten nur wenig, von ihren Bewegungen durch das Tuch mal abgesehen. Du wirst es wissen. Deshalb hat sie dich gerufen. Nicht nur wegen deines eigenen Glücks, sondern weil … wie sie es ausdrückte, weil ich es dem Schöpfer schuldig bin. Ich habe ihn einst benutzt, um meinen Geliebten zu retten. Bin ich dir nicht dieselbe Chance schuldig? Das hat sie gesagt. Aber wir wußten, würde ich dir das zuerst zeigen, bevor du die Wahl getroffen hast, würdest du ihm helfen, weil du dies für deine Pflicht hältst. Der großen Sache willen, nicht, weil du ihn liebst.«
»Aber ich hatte mich nicht entschieden, wieder auf ihn acht zu geben.«
»Wenn du es sagst«, meinte Becca.
»Du bist sehr selbstgefällig«, sagte Peggy, »für eine Frau, die die Dinge dermaßen verpfuscht hat.«
»Ich habe ein Durcheinander geerbt«, sagte Becca. »Eines Tages nahm meine Mutter, die das Meer überquert und uns hierher gebracht hatte, eines Tages nahm sie ihre Hände vom Webstuhl und ging davon. Meine Schwester und ich kamen mit ihrem Abendessen und stellten fest, daß sie weg war. Wir beide waren verheiratet, aber ich hatte meinem Gatten ein Kind geboren, und meine Schwester hatte in jenen Tagen noch keins. Also nahm ich den Webstuhl, und sie ging zu ihrem Mann. Und die ganze Zeit über war ich wütend auf meine Mutter, weil sie einfach so gegangen war. Vor ihrer Pflicht geflohen.« Becca streichelte die Fäden, zart, ja behutsam. »Ich schätze, jetzt verstehe ich sie. Der Preis dafür, all diese Leben in unseren Händen zu halten, besteht darin, daß wir selbst kaum ein Leben haben. Meine Mutter war nicht gut darin, weil sie nicht mit dem Herzen bei der Sache war. Ich bin es aber, und wenn ich einen Fehler gemacht habe, indem ich das Leben meines Gatten gerettet habe, kannst du vielleicht freundlicher über mich urteilen, wenn du weißt, daß ich bereits mein Leben mit meinem Gatten aufgegeben hatte, um den Platz meiner Mutter einzunehmen.«
»Ich wollte dich nicht verurteilen«, sagte Peggy beschämt.
»Und ich wollte mich nicht vor dir rechtfertigen«, sagte Becca. »Und doch hast du über mich geurteilt, und ich habe mich gerechtfertigt. Ich halte hier den Faden meiner Mutter in der Hand. Ich weiß, wo sie ist. Aber ich werde niemals wirklich wissen, warum sie getan hat, was sie getan hat. Oder was vielleicht geschehen wäre, wäre sie geblieben.« Becca schaute zu Peggy hoch. »Ich weiß nicht viel, aber was ich weiß, weiß ich. Alvin muß in die Welt hinaus ziehen. Er muß seine Familie verlassen – sollen sie das Schöpfen doch allein lernen, wie er es auch getan hat. Er muß Calvin wieder begegnen, bevor der Junge vom Unschöpfer völlig umgewandelt wird. Sonst könnte Calvin nicht nur sein Tod sein, sondern alles ungeschehen machen, was der Schöpfer geschaffen hat.«
»Ich habe eine leichte Antwort«, sagte Peggy. »Ich suche Calvin und sorge dafür, daß er nie nach Hause zurückkehrt.«
»Du glaubst, du hast die Macht, das Leben eines Schöpfers zu beherrschen?«
»Calvin ist kein Schöpfer. Wie könnte er einer sein? Bedenk doch, was Alvin tun mußte, als er sein Erbe antrat.«
»Dennoch hattest du nie die Macht, dich gegen Alvin zu stellen, nicht mal, als er ein Kind war. Und er hatte ein freundliches Herz. Ich befürchte, Calvin wird nicht von diesem Sinn für Anstand beherrscht.«
»Also kann ich mich nicht gegen ihn wenden«, sagte Peggy. »Aber ich kann Alvin auch nicht auf Botengänge schicken. Er läßt sich von mir nichts sagen.«
»Ach nein?« fragte Becca.
Peggy begrub ihr Gesicht in den Händen. »Ich will nicht, daß er mich liebt. Ich will ihn nicht lieben. Ich will meinen Kampf gegen die Sklaverei hier in Appalachee fortsetzen.«
»Ach ja. Du setzt dein Talent ein, um dich an dem Tuch zu schaffen zu machen, nicht wahr?« fragte Becca.
Weitere Kostenlose Bücher