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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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wurde das Summen lauter. Indem Calvin ehrlich gesprochen hatte, hatte er seine frommen Zuhörer stärker schockiert und beleidigt, als Verily es mit seiner Unhöflichkeit getan hatte. Doch es war eine kosmopolitische Menge, und es waren keine Priester anwesend. Niemand verließ den Raum; alle beobachteten sie, alle lauschten fasziniert.
    »Dann nehmt dies als Eure Prämisse«, sagte Verily. »Erklärt mir und dieser Gesellschaft, wie diese okkulten Talente in die Welt gekommen sind, wenn nicht durch den Einfluß des Teufels. Ihr wollt uns doch sicher nicht glauben machen, daß wir Engländer Leute verbrennen, weil Gott ihnen gewisse Kräfte gegeben hat?«
    Calvin schüttelte den Kopf. »Ich sehe, daß Ihr mich nur provozieren wollt, Sir, auf eine Art und Weise zu sprechen, die hier gegen das Gesetz ist.«
    »Dem ist keineswegs so«, sagte Verily. »In diesem Salon befinden sich drei Dutzend Zeugen, die aussagen werden, daß Ihr dieses Gespräch keineswegs eröffnet habt, sondern vielmehr hineingezogen wurdet. Des weiteren bitte ich Euch nicht, uns eine Predigt zu halten. Ich bitte Euch lediglich, uns als Wissenschaftler zu sagen, was Amerikaner glauben. Es ist genauso wenig ein Verbrechen, von den Ansichten der Amerikaner über Talente zu erzählen, wie von den Harems der Moslems und den Witwenverbrennungen der Hindus. Und diese Gesellschaft hier ist bereit, etwas zu lernen. Falls ich mich irre, möge man mich bitte korrigieren.«
    Niemand ergriff das Wort, um ihn zu korrigieren. Alle brannten darauf, endlich zu hören, was der junge Amerikaner zu sagen hatte.
    »Ich würde sagen, es gibt keinen Konsens darüber«, sagte Calvin. »Ich würde sagen, niemand weiß, was er glauben soll. Sie benutzen die Talente einfach, die sie haben. Einige behaupten, es sei wider Gott. Einige behaupten, Gott habe die Welt geschaffen, die Talente eingeschlossen, und alles hänge davon ab, ob man die Talente für einen gerechten Zweck einsetzt oder nicht. Ich habe viele verschiedene Meinungen gehört.«
    »Aber welche davon ist die weiseste?« beharrte Verily.
    Er spürte es in dem Augenblick, in dem Calvin sich für eine Antwort entschied: Es war eine Art von Kapitulation. Calvin hatte wild um sich geschlagen, sich nun aber ins Unausweichliche ergeben. Er würde nun zwar nicht die Wahrheit sagen, zumindest aber eine wahre Schilderung der Wahrheit eines anderen von sich geben.
    »Ich kenne jemanden, der behauptet, daß Talente aus einer natürlichen Affinität zwischen einer Person und einem bestimmten Aspekt der Welt um sie herum entstehen. Sie kämen nicht von Gott oder Satan, sagt er, und gehörten nur zu den zufälligen Abweichungen in der Welt. Dieser Bursche sagt, bei einem Talent käme es eigentlich nur darauf an, das Vertrauen eines bestimmten Teils der Wirklichkeit zu gewinnen. Er schätzt, daß die Roten, die nicht an Talente glauben, die Wahrheit dahinter gefunden haben. Ein Weißer setzt sich in den Kopf, daß er ein Talent hat, und arbeitet von da an daran, diese besondere Fähigkeit zu schärfen. Aber würde er, wie die Roten es tun, Talente nur als einen Aspekt der Verbindung sehen, die es zwischen allen Dingen gibt, würde er sich nicht nur auf ein Talent konzentrieren. Er würde an allen gleichzeitig arbeiten. Dieser Bursche geht also davon aus, daß Talente ganz einfach die Folge von zu viel Arbeit an einer Sache und nicht genug bei allen anderen sind. Wie ein Kohlenschlepper, der Briketts nur auf der rechten Schulter trägt. Sein Körper wird sich verbiegen. Man muß alles studieren, alles lernen. Ich schätze, wir können jedes Talent erwerben, wenn wir nur …«
    Seine Stimme wurde schwächer, bis er schließlich ganz verstummte.
    Als Calvin danach wieder das Wort ergriff, sprach er auf die scharfe, klare, gebildet klingende Weise, die er sich angeeignet haben mußte, nachdem er England erreicht hatte. Erst dann fiel Verily und den anderen auf, daß sein Akzent sich während dieser langen Ansprache verändert hatte. Er hatte den dünnen Mantel der englischen Eigenart abgeworfen, und darunter war der Amerikaner zum Vorschein gekommen.
    »Wer ist dieser Mann, der Euch all das beigebracht hat?« fragte Verily.
    »Spielt das eine Rolle? Was weiß ein so grober Mensch schon von der Natur?« Calvin sprach spöttisch, aber Verily wußte, er log schon wieder.
    »Dieser ›grobe Mensch‹, wie Ihr ihn nennt … Ich vermute, er sagt viel mehr als nur den Schnipsel, den Ihr uns heute vorgeworfen habt.«
    »Oh, man kann ihn

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