Der Reisende
einfach nicht unterbrechen, so gern hört er sich selbst reden.« Die Verbitterung in Calvins Stimme sprach eine deutliche Sprache: Das meint er ernst. Calvin verabscheut diesen Philosophen von der Grenze, verabscheut ihn zutiefst. »Aber ich werde diese Gesellschaft nicht mit den Phantastereien eines Verrückten von der Grenze langweilen.«
»Aber Ihr haltet ihn doch gar nicht für einen Verrückten, nicht wahr, Mr. Miller?« sagte Verily.
Eine kurze Pause. Laß dir schnell eine Antwort einfallen, Calvin Miller. Finde eine Möglichkeit, mich zu täuschen, wenn du es kannst.
»Das kann ich nicht sagen, Sir«, erwiderte Calvin. »Ich bin nicht der Ansicht, daß er auch nur halb soviel weiß, wie er glaubt, aber ich würde es nicht wagen, meinen eigenen Bruder einen Lügner zu nennen.«
Plötzlich brandete ein lautes Summen auf. Calvin Miller hatte einen Bruder, der über Talente philosophierte und behauptete, sie kämen nicht vom Teufel.
Noch wichtiger war für Verily die Tatsache, daß Calvins Worte offensichtlich nicht in die Welt paßten, an die er in Wirklichkeit glaubte. Lügen, Lügen. Offensichtlich glaubte Calvin, daß sein Bruder in der Tat sehr klug war und wahrscheinlich mehr wußte, als Calvin einzugestehen bereit war.
Ohne es selbst zu merken, traf Verily Cooper in diesem Augenblick die Entscheidung, nach Amerika zu gehen. Wer auch immer Calvins Bruder war, er wußte etwas, das Verily unbedingt lernen wollte. Denn viele der Ideen dieses Mannes klangen wahr. Falls es Verily gelingen sollte, seine Bekanntschaft zu machen und mit ihm zu sprechen, konnte er ihm vielleicht erklären, welches Talent er, Verily, in Wirklichkeit hatte. Konnte er ihm sagen, warum er dieses Talent hatte und warum es beharrlich in ihm bestehen blieb, obwohl sein Vater versuchte hatte, es ihm auszuprügeln.
»Wie heißt Euer Bruder?« fragte Verily.
»Spielt das eine Rolle?« fragte Calvin mit einem schwachen Schnauben in der Stimme. »Habt Ihr vor, bald die unerschlossenen Waldgebiete zu besuchen?«
»Stammt Ihr von dort? Aus den unerschlossenen Waldgebieten?« fragte Verily.
Calvin machte sofort einen Rückzieher. »Eigentlich nicht. Ich habe übertrieben. Mein Vater war Müller.«
»Wie ist der arme Mann gestorben?« fragte Verily.
»Er ist nicht tot«, sagte Calvin.
»Aber Ihr habt von ihm in der Vergangenheit gesprochen. Als wäre er kein Müller mehr.«
»Er führt noch immer eine Mühle«, sagte Calvin.
»Ihr habt mir den Namen Eures Bruders noch nicht gesagt.«
»Derselbe wie der meines Vaters. Alvin.«
»Alvin Miller?« fragte Verily.
»Früher mal. Aber in Amerika ändern wir noch immer unsere Namen mit unseren Berufen. Jetzt ist er Schmied, ein Wandergeselle. Alvin Smith.«
»Und Ihr bleibt Calvin Miller, weil …«
»Weil ich mein Lebenswerk noch nicht gewählt habe.«
»Ihr hofft, es in Frankreich zu finden?«
Calvin sprang auf, als wäre gerade sein schrecklichstes Geheimnis verraten worden. »Ich muß nach Hause.«
Verily erhob sich ebenfalls. »Mein Freund, ich fürchte, wegen meiner Neugier ist Euch unbehaglich zumute. Ich werde meine Befragung sofort beenden und entschuldige mich hiermit vor dieser Gesellschaft dafür, heute abend so schwierige Themen zur Sprache gebracht zu haben. Ich hoffe, Ihr alle werdet mir meine unersättliche Neugier verzeihen.«
Sofort versicherten zahlreiche Stimmen, es sei überaus interessant gewesen, und niemand sei wütend auf jemanden oder beleidigt worden. Das Gespräch brach in viele kleinere Plaudereien auseinander.
Nach einem Augenblick gelang es Verily, zu dem jungen Amerikaner vorzudringen. »Euer Bruder, Alvin Smith«, sagte er. »Verratet mir, wo ich ihn finden kann.«
»In Amerika«, sagte Calvin; und da das Gespräch privat war, versuchte er erst gar nicht, seine Verachtung zu verbergen.
»Das ist nur geringfügig besser, als hättet Ihr mir gesagt, ich solle auf der Erde nach ihm suchen«, sagte Verily. »Offensichtlich verabscheut Ihr ihn. Ich verspüre kein Verlangen, Euch Kummer zu machen, indem ich Euch bitte, mir mehr über seine Ideen zu erzählen. Es wird Euch nichts kosten, mir zu sagen, wo er wohnt, damit ich ihn selbst aufsuchen kann.«
»Ihr würdet den Ozean überqueren, um einen Jungen kennenzulernen, der wie ein Bauerntölpel spricht, nur um zu erfahren, was er über Talente denkt?«
»Ob ich solch eine Reise machen oder ihm lediglich einen Brief schreiben will, geht Euch nichts an«, sagte Verily. »Irgendwann wird man mich
Weitere Kostenlose Bücher