Der Reisende
Calvin nicht. Also trocknete die Wunde vielleicht aus und schloß sich, doch falls eine tiefe Infektion vorlag, kehrte sie schnell zurück. Dennoch hatte er, soweit er wußte, einige der Bettler geheilt. Nicht, daß es ihnen etwas nutzte – wie sollten sie ohne Verletzungen nun betteln? Wenn sie klug waren, verschwanden sie aus seiner Nähe, bevor er ihnen das Kapital nehmen konnte, mit dem sie Mitgefühl erkauften. Aber nein, diejenigen mit echten Verletzungen wollten lieber geheilt werden, als sie essen wollten. Das tat diesen Leuten Schmerz und Leid an. Wenn sie sich wohl fühlten, konnten sie klug und vorsichtig sein. Aber wenn man der Mischung ein wenig Schmerz zufügte, wollten sie nur noch, daß der Schmerz verschwand.
Es dauerte überraschend lang, bevor ein Mitglied der Geheimpolizei des Kaisers zu ihm kam. Oh, ein oder zwei Gendarmen hatten ihn bei seinem Tun beobachtet, aber da er niemanden berührte und nichts sagte, taten sie auch nichts und sagten auch nichts zu ihm. Und Soldaten – die suchten ihn allmählich schon auf, weil so viele Veteranen Verletzungen von ihrer Dienstzeit hatten und die Hälfte der Krüppel, denen Calvin geholfen hatte, alte Kameraden von den Kampflinien hatte, die sie dann aufsuchten, um ihnen die wundersame Heilung zu zeigen, die Calvin ihnen gebracht hatte. Aber nie war einer mit der verstohlenen Wachsamkeit der Geheimpolizei unter der Menge, drei lange Wochen nicht – Wochen, in denen Calvin von einem Teil der Stadt zum anderen ziehen mußte, damit nicht jemand, den er bereits geheilt hatte, zu einer zweiten Behandlung zu ihm kam. Welchen Nutzen hatten all seine Anstrengungen, wenn Gerüchte in Umlauf kamen, daß diejenigen, die er geheilt hatte, nicht geheilt blieben?
Dann endlich kam solch ein Mann, ein Mann mittlerer Größe mit bürgerlicher Kleidung und bescheidenem Benehmen, doch Calvin sah die Anspannung, die Wachsamkeit – und, was am wichtigsten war, die Griffe der Pistolen, die in den Taschen seines Mantels verborgen waren. Dieser hier würde dem Kaiser Bericht erstatten. Also achtete Calvin darauf, daß der Geheimpolizist genau sehen konnte, was sich ereignete, wenn er einen Bettler heilte. Und es schadete auch nicht, daß alle, noch bevor die Stille sich senkte und er die Heilung vornahm, Sätze murmelten wie »Ist er derjenige? Ich habe gehört, er hat den einbeinigen Bettler beim Montmarte geheilt!«, obwohl Calvin natürlich nie versucht hatte, jemanden mit einem fehlenden Gliedmaß zu heilen. Selbst Alvin war wahrscheinlich zu einer so spektakulären Tat nicht imstande. Aber es konnte nicht schaden, daß solche Gerüchte im Umlauf waren. Und das alles nur, um zum Kaiser vorgelassen zu werden, denn jeder wußte, daß die Gicht ihm starke Schmerzen bereitete. Schmerzen in den Beinen – er wird mich bitten, den Schmerzen in seinen Beinen ein Ende zu machen. Wegen der Schmerzen wird er mir alles beibringen, was er weiß. Alles, damit ich die Schmerzen beseitige.
Die Heilung war beendet. Calvin ging wie üblich davon. Doch zu seiner Überraschung verließ der Geheimpolizist den Ort auf einem ganz anderen Weg. Sollte er mir nicht folgen? Mir zuflüstern, daß der Kaiser mich braucht? Ob ich mitkommen und dem Kaiser dienen würde? Oh, aber ich weiß nicht, ob ich helfen kann. Ich tue, was ich kann, aber manche Verletzungen sind hartnäckig und lassen sich einfach nicht vollständig heilen. O nein, Calvin würde nichts versprechen. Sollten doch seine Taten für sich sprechen. Er würde dafür sorgen, daß das Bein des Kaisers eine Zeitlang nicht mehr so starke Schmerzen bereitete – er war überzeugt, dazu imstande zu sein – doch niemand würde sagen können, Calvin Miller hätte versprochen, die Heilung würde von Dauer sein, oder es werde überhaupt eine eintreten.
Aber er hatte keine Chance, diese Dinge zu sagen, denn der Geheimpolizist ging eines anderen Weges.
Als er an diesem Abend in dem Cafe auf sein Essen wartete, kamen vier Gendarmen herein, lachend, als hätten sie gerade Dienstschluß gehabt. Zwei von ihnen gingen zur Küche – offensichtlich kannten sie dort jemanden – während die beiden anderen unbeholfen und lachend über die Tische miteinander flachsten. Calvin lächelte kurz und schaute dann aus dem Fenster.
Das Lachen hörte auf. Barsche Hände ergriffen seine Arme und hoben ihn aus dem Stuhl. Alle vier Gendarmen standen jetzt um ihn herum und lachten überhaupt nicht mehr. Sie banden seine Handgelenke zusammen und fesselten seine
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