Der Reisende
Scharlatan.«
Statt dessen sagte er: »Welcher gute Wind weht dich her, mein kleiner Napoleon?«
»Eure Gicht«, sagte der Junge.
O nein. Noch ein Heilmittel. Heilmittel, die Narren entwickelt hatten und die normalerweise mehr Schaden als Gutes anrichteten. Aber die Gicht war ein Fluch, und … mal hören, was er hat.
»Ein Engländer«, sagte Kleiner Napoleon. »Oder, um genauer zu sein, ein Amerikaner. Meine Spione haben ihn beobachtet …«
»Deine Spione? Sind das andere Spione als die, die ich bezahle?«
»Die Spione, über die Ihr mir die Aufsicht gegeben habt, Onkel.«
»Ach, jene Spione. Sie erinnern sich doch noch daran, daß sie für mich arbeiten, nicht wahr?«
»Sie erinnern sich so gut daran, daß Sie nicht einfach Eure Befehle befolgt und auf Feinde geachtet haben, sondern auch auf jemanden, der Euch vielleicht helfen kann.«
»Alle Engländer in Europa sind Spione. Wenn ich nach irgendeiner bemerkenswerten Leistung sehr, sehr beliebt bin, werde ich sie alle zusammentreiben und unter die Guillotine bringen lassen. Monsieur Guillotin – das war ein nützlicher Mann. Hat er in letzter Zeit irgend etwas anderes erfunden?«
»Er arbeitet an einem dampfbetriebenen Wagen, Onkel.«
»Die gibt es doch schon. Wir nennen sie Lokomotiven, und wir verlegen in ganz Europa Gleise.«
»Ja, aber er arbeitet an einem, der nicht auf Schienen fahren muß.«
»Warum kein dampfbetriebener Ballon? Ich begreife nicht, wieso das nie funktioniert hat. Die Maschine treibt das Gefährt an, und der Dampf wird nicht verschwenderisch in die Atmosphäre abgelassen, sondern füllt den Ballon und hält das Gefährt in der Luft.«
»Ich glaube, das Problem liegt darin, Onkel, daß das ganze Ding zuviel wiegt, um vom Boden hochzukommen, wenn man genug Treibstoff mitnimmt, um weiter als zwanzig oder dreißig Fuß zu fliegen.«
»Deshalb gibt es doch Erfinder, nicht wahr? Um solche Probleme zu lösen. Jeder Narr kann doch die grundlegende Idee haben – das ist doch sogar mir eingefallen, nicht wahr?
Und wenn es um solche Dinge geht, bin ich schlicht und einfach ein Narr, wie die meisten Menschen.« Bonaparte hatte schon längst herausgefunden, daß so bescheidene Bemerkungen stets von Zuschauern bei Hof wiederholt wurden und viel dazu beitrugen, ihn bei seinem Volk beliebt zu machen. »Es ist Monsieur Guillotins Aufgabe … na ja, schon gut, die Maschine, die seinen Namen trägt, ist bereits ein großer Beitrag für die Menschheit. Schnelle, sichere und schmerzlose Exekutionen – eine Wohltat für die Unwürdigsten der Menschheit. Eine sehr christliche Erfindung, die den geringsten von Jesu Brüdern Freundlichkeit erweist.« Die Priester würden das wiederholen, und zwar von der Kanzel aus.
»Was diesen Calvin Miller betrifft«, sagte Kleiner Napoleon.
»Und meine Gicht.«
»Ich habe gesehen, wie er ein geschwollenes Gliedmaß dräniert, indem er einfach auf der Straße steht und die eiternde Wunde eines Bettlers anstarrt.«
»Eine eiternde Wunde ist keine Gicht.«
»Der Bettler hatte seine Hose aufgerissen, um die Verletzung zu zeigen, und dieser Amerikaner stand einfach da, daß alle Welt glaubte, er würde eindösen, und dann brach plötzlich die Haut auf, und der ganze Eiter quoll heraus, und dann schloß die Wunde sich ohne einen einzigen Stich. Weder er noch sonst jemand berührte das Bein. Es war eine beeindruckende Demonstration bemerkenswerter Heilkräfte.«
»Du hast das selbst gesehen?«
»Mit meinen eigenen Augen. Aber nur einmal. Ich kann kaum heimlich auf die Straße gehen, Onkel. Ich ähnle zu sehr Eurer geschätzten Herrlichkeit.«
Zweifellos bildete Kleiner Napoleon sich ein, das sei eine Schmeichelei. Statt dessen erzeugte die Bemerkung nur eine schwache Welle der Übelkeit in Bonaparte. Aber er ließ sich davon nichts anmerken.
»Und du hast diesen Heiler jetzt verhaften lassen?«
»Natürlich. Er wartet auf Euer Erscheinen.«
»Laß ihn schwitzen.«
Kleiner Napoleon sah Bonaparte schräg an und betrachtete ihn kurz, dachte wahrscheinlich darüber nach, welche Pläne sein Onkel mit dem Heiler hatte und warum er ihn nicht sofort sehen wollte. Bonaparte war jedoch überzeugt davon, daß er niemals hinter die Wahrheit kommen würde: daß Bonaparte nicht die geringste Ahnung hatte, was er mit einem Heiler anfangen sollte, der tatsächlich Macht hatte. Es bereitete ihm Unbehagen, darüber nachzudenken. Und er erinnerte sich an den weißen Jungen, der ihn zusammen mit dem roten General Ta-Kumsaw
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