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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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und einfach bewirkte, daß er sich gut fühlte.
    Solch eine Macht hätte er den Leuten in Vigor Church gern beigebracht, aber sie verstanden es einfach nicht, sahen höchstens dann und wann mal einen Schimmer davon, und hier bedeckte sie den Boden so dicht, daß man sie fast zusammenharken konnte wie Blätter. Maggie, die in Goody Traders Laden aushalf, konnte auf jedem Pferd reiten, ganz gleich, wie wild es war, und dafür gab es zahlreiche Zeugen. Und da war jemand, der Alvin ein wenig angst machte, ein Mädchen namens Dorcas Bee, das Porträts von Leuten malen konnte, die ihnen nicht nur verblüffend ähnlich sahen, sondern auch alles zeigten, was in ihnen war – Alvin wußte nicht, was er von ihr halten sollte, und selbst mit ihren Augen verstand er nicht genau, wie sie es machte.
    Jeder dieser Leute hätte in jeder anderen Stadt, in der er wohnte, Aufsehen erregt, selbst wenn sie so groß wie New Amsterdam oder Philadelphia gewesen wäre. Und doch lebten sie hier, mitten im Nichts. Ausgerechnet in Hatrack River, einer zwar wachsenden Stadt, in der es anscheinend aber niemandem seltsam vorkam, daß sich hier so viele Talente versammelt hatten.
    Es gibt einen Grund dafür, dachte Alvin. Es muß einen Grund dafür geben. Und ich muß ihn in Erfahrung bringen, weil diese talentierten Leute die Geschworenenbank bilden und darüber entscheiden werden, ob Makepeace Smith offensichtlich lügt – oder ich. Aber diese Stadt ist sowieso voller Lügen, da die Dinge, die Vilate Franker behauptet, und die, die Goody Trader behauptet, nicht alle gleichzeitig wahr sein können. Voller Lügen und, ja, Nöte. Alvin spürte deutlich, daß der Unschöpfer hier die Hand im Spiel hatte, konnte aber nicht genau sagen, worum es ging oder wer für ihn tätig war. Es war schwierig, den Unschöpfer zu finden, wenn der Unschöpfer nicht gefunden werden wollte. Besonders aus einer Gefängniszelle heraus, in der man lediglich Gerüchte erfuhr und kurzen Besuch bekam.
    Aber so kurz waren sie nun auch wieder nicht. Wenn Vilate Franker kam, blieb sie manchmal eine halbe Stunde lang, obwohl sie sich nicht setzen konnte. Alvin kam nicht dahinter, was sie überhaupt wollte. Man mußte ihr zugute halten, daß sie mit ihm nicht herumklatschte – all ihren Klatsch erfuhr Alvin aus zweiter Hand von Arthur Stuart. Nein, Vilate kam zu ihm, um über Philosophie und Poesie und so weiter zu sprechen, Dinge, über die seit Miss Larner kein Mensch mehr mit ihm gesprochen hatte. Alvin fragte sich, ob Vilate vielleicht versuchte, ihn zu verzaubern, doch da er von ihren Hexagrammen kein Schönheitsbild sehen konnte, konnte er es wirklich nicht sagen. Für ihn war sie mit Sicherheit nicht schön. Aber je mehr sie sprach, desto mehr gefiel ihm ihre Gesellschaft, bis er sich schließlich auf ihren täglichen Besuch freute. Mehr als über jeden anderen Besuch, um die Wahrheit zu sagen, von Arthur Stuart einmal abgesehen. Wenn sie sich unterhielten, legte Alvin sich auf die Pritsche in der Zelle und schloß die Augen, damit er weder ihre Häßlichkeit noch ihre Hexerei sehen mußte, sondern nur die Worte hören und über die Ideen nachdenken und die Visionen sehen konnte, die sie in ihm heraufbeschwor. Sie sagte Gedichte auf, und die Worte erzeugten Musik in ihm. Sie sprach von Plato, und Alvin verstand und fühlte sich auf eine Weise klug, wie die Beweihräucherung der Leute es niemals bewirkt hatte.
    War das ihr Talent? Alvin wußte es nicht, konnte es einfach nicht sagen. Er wußte lediglich, daß er nur während ihrer Besuche völlig vergessen konnte, daß er im Gefängnis war. Und nach einer Woche oder so dämmerte ihm, daß er sich vielleicht einfach nur verliebte. Daß die Gefühle, die er bislang lediglich Miss Larner entgegengebracht hatte, von Vilate Franker – nur ein wenig – aufgeweicht wurden. Würde das nicht alles übertreffen? Miss Larner war hübsch und jung gewesen und hatte Talente eingesetzt, damit sie unscheinbar und älter wirkte. Hier war nun eine unscheinbare Frau im mittleren Alter, die Talente einsetzte, damit die anderen Leute dachten, sie wäre jung und hübsch. Gegensätzlicher konnten diese beiden doch kaum sein. Doch in beiden Fällen hatte er seine Freude an reifen Frauen ohne offensichtliche Schönheit gehabt.
    Und doch … während er sich noch fragte, ob er sich in Vilate verliebte, dachte er in seinen einsamen Stunden, besonders nach Einbruch der Dunkelheit, an ein ganz anderes Gesicht. Ein junges Mädchen, zu Hause in

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