Der Reiz des Verbotenen - Page, S: Reiz des Verbotenen
leise, dass er wusste, die Worte waren nur für sie selber gedacht, wisperte sie: „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich zu verlieren.“
Marcus lehnte seine Hüfte gegen die Kante von Chartrands Pult, während er die Pistole, die er sich aus der Sammlung seines Gastgebers erbeten hatte, in der Hand hielt. Geladen und entsichert lag sie als beruhigendes Gewicht in seiner Handfläche.
Ein Diener stand vor der Fensterreihe, und Rutledge stand in der Nähe der Tür. Der Butler sah schockiert und unsicher aus.
„Was, zur Hölle, geht hier vor?“ Wembly stürmte in den Salon, während er noch versuchte, mit den Fingern sein zerzaustes Haar zu ordnen. „Trent, was denken Sie sich dabei?“
Kerzenlicht fiel auf Wemblys Gesicht, sodass es klar zu erkennen war. Es zeigte keinerlei Makel. Keinen Bluterguss. Keine aufgeplatzte Lippe. Kein Anzeichen für Faustschläge.
Innerhalb von zehn Minuten waren auch Brude, Montberry und Swansborough ins Zimmer gestürzt, alle zornig, weil man sie von ihren sexuellen Vergnügungen fortgerufen hatte. Sie waren liederliche Männer und hatten auch weiterhin Unterhaltung gesucht, obwohl die Orgie unterbrochen worden war.
Jeder der Männer zeigte mit seinem unverletzten Gesicht eindeutig seine Unschuld.
Die Zeit verging. Chartrand erschien nicht.
Montberry plusterte sich auf: „Was hat es zu bedeuten, Trent, dass Sie uns aus unseren Betten gezerrt haben?“
„Ein Angreifer mit einem Messer hat mich aus meinem gezerrt. Ich dachte, ich erwidere diese Gunst dem Verantwortlichen gegenüber.“ Er betrachtete die Männer, sah aber kein Anzeichen eines schlechten Gewissens. Doch sie waren alle Gentlemen und daran gewöhnt, ihre Gefühle zu verbergen. Kurz und bündig erzählte er einige Einzelheiten über den Überfall.
„Und wer auch immer Sie angegriffen hat, trägt jetzt die Blessuren“, schloss Swansborough mit der Brandyflasche in der Hand, aus der er gerade sein Glas gefüllt hatte.
„Wo ist Lord Chartrand?“, rief Marcus Rutledge zu.
Der Butler trat einen Schritt vor. „Er ist nicht in seinem Schlafzimmer, Mylord. Ich habe Roberts ausgeschickt, ihn zu suchen.“
Roberts war ohne Chartrand zurückgekehrt. Der Mann, der wahrscheinlich seine Frau getötet hatte, zeigte sein Gesicht nicht.
„Wir suchen ihn gemeinsam“, sagte Marcus grimmig.
Wegen der Wachposten vor ihrer Tür – Williams und Davis, zwei Laufburschen mit unbeschädigten Gesichtern und breiten Schultern – konnte Venetia das Zimmer nicht verlassen. Unruhig ging sie vor dem Kamin auf und ab. Sie sorgte sich um Marcus, doch was viel schlimmer war, er hatte sie von seinem Tun und dem Abenteuer ausgeschlossen. Das machte sie verrückt.
Sie hatte ihm dafür gedankt, dass er ihr das Leben gerettet hatte – und nun war sie so schlecht gelaunt, dass sie ihm seine Fürsorge praktisch übel nahm.
Die Hände auf den Kaminsims gestützt und den Kopf gebeugt, wurde ihr klar, dass sie ihm in Wahrheit nichts übel nahm. Sie hatte Angst. Nicht wegen irgendwelcher Mörder, sondern weil die Wahrheit ihr klar ins Gesicht sah. Sie war nach London gekommen, um sich selbst um ihr Leben zu kümmern, war entschlossen gewesen, es zu schaffen. Doch es war ihr nicht gelungen – der wunderbare, mächtige Earl of Trent hatte alle Hände voll zu tun gehabt, sie immer wieder zu retten.
Er hatte ihre Karriere gerettet. Hatte sie vor dem Ruin bewahrt – oder es zumindest versucht. Hatte sie davon abgehalten, in einem wahren Hexenkessel voller Ärger zu landen, als sie bei einer Orgie das Abenteuer suchte. Und vor allem hatte er sie vor dem Tod gerettet.
Sie hatte glauben wollen, dass eine Frau sich selbst schützen konnte. Hatte es glauben müssen, als ihr klar geworden war, dass Rodesson seine Familie nicht beschützen würde. Aber sie hatte kläglich versagt.
Welcher Mann war für den Angriff auf Marcus und sie verantworlich? Sie war ihm nahe genug gewesen, um seinen Schweiß zu riechen, und doch wusste sie es nicht. Er hatte nicht gerochen oder geklungen wie ein Gentleman, aber das konnte auch seine Absicht gewesen sein.
Wer von ihnen war es? Chartrand? Brude? Wembly? Montberry? Swansborough? Es war so schwierig, sich einen dieser arroganten Gentlemen als groben Kerl vorzustellen, der ihr ein Messer an die Kehle hielt. Auf keinen Fall hatte eine Frau sie überfallen. Dazu war der Eindringling zu stark gewesen. Sie hatte gefühlt, wie sich seine harte Brust an ihren Rücken gepresst hatte. Und er war erregt gewesen –
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