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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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die Hinterbliebene, die Mutter; sie trägt einen kleinen schwarzen Krug. An der Größe des Kruges kann man erkennen, wie alt es war, als es in ihr zusammenfiel, in den Tod blutete. Zwei oder drei Monate, zu jung, um erkennen zu können, ob es ein Unbaby war oder nicht. Für die älteren und die bei der Geburt Gestorbenen gibt es Kästen.
    Wir bleiben ehrerbietig stehen, während sie vorbeigehen. Ich möchte wissen, ob Desglen das gleiche empfindet wie ich, einen Schmerz im Bauch, einen Stich. Wir legen die Hände aufs Herz, um diesen fremden Frauen zu zeigen, daß wir ihren Verlust mit ihnen fühlen. Die erste schaut uns unter ihrem Schleier böse an. Eine von den beiden anderen dreht sich zur Seite und spuckt auf den Bürgersteig. Die Ökonofrauen mögen uns nicht.
     
    Wir gehen an den Geschäften vorbei und kommen wieder an die Sperre und werden durchgelassen. Wir setzen unseren Weg fort zwischen den großen leer aussehenden Häusern, den unkrautfreien Rasenflächen. An der Ecke in der Nähe des Hauses, wo ich stationiert bin, bleibt Desglen stehen und wendet sich mir zu.
    »Unter Seinem Auge«, sagt sie. Das richtige Abschiedswort.
    »Unter Seinem Auge«, erwidere ich, und sie nickt mir kurz zu. Sie zögert, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann wendet sie sich ab und geht die Straße hinunter. Ich sehe ihr nach. Sie ist wie mein Spiegelbild – in einem Spiegel, von dem ich mich entferne.
    In der Einfahrt ist Nick wieder dabei, den Whirlwind zu polieren. Er ist schon bei den Chromteilen hinten am Auto angelangt. Ich lege meine behandschuhte Hand auf die Klinke, öffne das Gartentor, drücke es nach innen auf. Das Tor klickt hinter mir zu. Die Tulpen auf den Rabatten sind röter denn je, sie öffnen sich, sind jetzt nicht mehr Sektgläser, sondern Kelche; sie werfen sich auf, doch wozu? Schließlich sind sie leer. Wenn sie alt sind, kehren sie sich nach außen, explodieren dann langsam, die Blütenblätter wie Insektenflügel nach außen gewölbt.
    Nick blickt auf und fängt an zu pfeifen. Dann sagt er: »Schöner Spaziergang?«
    Ich nicke, antworte aber nicht mit der Stimme. Er darf nicht mit mir sprechen. Natürlich werden es einige versuchen, sagte Tante Lydia. Das Fleisch ist schwach. Das Fleisch ist Gras, berichtigte ich sie im Geiste. Sie können nichts dafür, sagte sie, Gott hat sie so geschaffen, aber euch hat Er nicht so geschaffen. Euch hat Er anders geschaffen. Es ist an euch, die Grenzen zu ziehen. Später wird es euch gedankt werden.
    Im Garten hinter dem Haus sitzt die Frau des Kommandanten auf dem Stuhl, den sie sich hat heraustragen lassen. Serena Joy, was für ein dümmlicher Name. Er klingt wie etwas, das manche Frauen sich in früheren Zeiten aufs Haar auftrugen, um es zu entkrausen. Serena Joy hätte auf der Flasche stehen können, und darunter die Scherenschnittsilhouette eines Frauenkopfes auf einem ovalen rosa Hintergrund mit verschnörkeltem Goldrand. Warum hat sie sich, wenn sie doch, was Namen betrifft, freie Wahl hatte, ausgerechnet diesen ausgesucht? Serena Joy war niemals ihr richtiger Name, auch damals nicht. Ihr richtiger Name war Pam. Das habe ich in einem Artikel über sie gelesen, in einem Nachrichtenmagazin, lange Zeit nachdem ich sie erstmals hatte singen sehen, sonntagmorgens, während meine Mutter noch schlief. Zu der Zeit verdiente sie einen solchen Artikel. In Time oder Newsweek war es, muß es gewesen sein. Damals sang sie nicht mehr, sondern hielt Reden. Das machte sie gut. Ihre Reden handelten von der Heiligkeit des häuslichen Herds, davon, daß Frauen zu Hause bleiben sollten. Serena Joy selbst tat das nicht, sie hielt statt dessen Reden, aber sie stellte dieses persönliche Versäumnis als Opfer dar, das sie zum Besten aller brachte.
    Um die Zeit machte jemand den Versuch, sie zu erschießen, und traf daneben; ihre Sekretärin, die unmittelbar hinter ihr stand, wurde an ihrer Stelle getötet. Jemand anders legte eine Bombe in ihr Auto, aber die Bombe ging zu früh los. Manche Leute sagten allerdings auch, sie hätte sich die Bombe selbst in ihr Auto gelegt, um Mitgefühl zu erwecken. So heiß wurde die Situation allmählich.
    Luke und ich sahen sie manchmal in den Spätnachrichten. In unsere Bademäntel gehüllt, beim Schlaftrunk. Wir betrachteten ihr gespraytes Haar, ihre Hysterie, die Tränen, die sie nach wie vor auf Kommando kullern lassen konnte, und die Wimperntusche, die ihre Wangen schwarz färbte. Zu der Zeit trug sie schon mehr Make-up. Wir fanden sie

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