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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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fällt in mein Bett, sagte ich.
    Wenn du dein Bett machen würdest, hättest du dieses Problem nicht, sagte Moira.
    In einer halben Stunde, sagte ich. Ich mußte am nächsten Tag eine schriftliche Arbeit abgeben. Welches Fach? Psychologie, Englisch, Wirtschaftswissenschaft. So etwas studierten wir damals. Überall auf dem Fußboden lagen Bücher, aufgeschlagen, mit dem Gesicht nach unten, kreuz und quer, ein wildes Durcheinander.
    Nein, jetzt, sagte Moira. Du brauchst dein Gesicht nicht anzumalen, ich bin's doch nur. Worüber schreibst du? Ich habe gerade eine Arbeit über Computermenüs geschrieben.
    Computermenüs, sagte ich. Du bist immer so trendbewußt. Klingt wie der Titel eines neuen Kochbuchs.
    Ha ha, lachte Moira. Hol deinen Mantel.
    Sie holte ihn selbst und warf ihn mir zu. Ich kann mir doch fünf Dollar von dir leihen, oder?
     
    Oder irgendwo in einen Park, mit meiner Mutter. Wie alt war ich? Es war kalt, unser Atem bildete weiße Wölkchen vor uns, es waren keine Blätter an den Bäumen; grauer Himmel, zwei Enten im Teich, trostlos. Brotkrumen zwischen meinen Fingern, in meiner Tasche. Ja, so war es: sie hatte gesagt, wir wollten die Enten füttern gehen.
    Aber im Park waren mehrere Frauen, die Bücher verbrannten, und deshalb war sie in Wirklichkeit hergekommen. Um ihre Freundinnen zu treffen; sie hatte mich angelogen, denn der Samstag war eigentlich mein Tag. Ich wandte mich schmollend von ihr ab, den Enten zu, aber das Feuer zog mich an, und ich ging zurück.
    Auch ein paar Männer standen zwischen den Frauen, und die Bücher waren Zeitschriften. Sie mußten Benzin daraufgegossen haben, denn die Flammen schossen hoch auf, und dann fingen sie an, die Zeitschriften hineinzuwerfen, aus Kartons, nicht zu viele auf einmal. Einige von ihnen sangen Lieder; Zuschauer sammelten sich an.
    Ihre Gesichter waren glücklich, fast ekstatisch. Feuer kann so etwas bewirken. Sogar das Gesicht meiner Mutter, sonst bleich und schmal, sah rosig und fröhlich aus, wie auf einer Weihnachtskarte. Und da war eine andere Frau, füllig, mit einem Rußflecken auf der Wange und einer orangefarbenen Strickmütze auf dem Kopf, an die ich mich erinnere.
    Möchtest du auch eine reinwerfen, mein Schatz? fragte sie mich. Wie alt war ich damals?
    Weg mit dem Dreck, sagte sie kichernd. Darf sie? fragte sie meine Mutter.
    Wenn sie will, sagte meine Mutter. Sie hatte eine Art, mit anderen über mich zu reden, als könnte ich es nicht hören.
    Die Frau gab mir eine der Zeitschriften. Auf dem Umschlag war eine hübsche Frau, ohne Kleider, die an einer um ihre Hände gebundenen Kette von der Decke herabhing. Ich betrachtete sie neugierig. Das Bild erschreckte mich nicht. Ich dachte, sie schaukelte, wie Tarzan an einer Liane, im Fernsehen.
    Laß sie das nicht sehen, sagte meine Mutter. Los, sagte sie zu mir, schnell ins Feuer damit.
    Ich warf die Zeitschrift in die Flammen. Im Brennen blätterte sie sich im Hitzestrom auf; große Papierfetzen lösten sich, schwebten, noch brennend, empor, Teile von Frauenkörpern, die sich vor meinen Augen in der Luft in schwarze Asche verwandelten.
     
    Aber was geschieht dann, was geschieht dann?
    Ich weiß, daß ich ein Stück Zeit habe.
    Es müssen Nadeln oder Tabletten oder etwas Ähnliches im Spiel gewesen sein. Undenkbar, daß ich so viel Zeit aus dem Gedächtnis verloren hätte, ohne daß jemand nachgeholfen hat. Du hast einen Schock gehabt, sagten sie.
    Ich tauchte durch ein dröhnendes Durcheinander empor. Es war wie eine tosende Brandung. Ich erinnere mich, daß ich ganz ruhig war. Ich erinnere mich, daß ich schrie, es kam mir so vor, als schrie ich, obwohl es vielleicht nur ein Flüstern war: Wo ist sie? Was habt ihr mit ihr gemacht?
    Da war weder Tag noch Nacht, nur ein Flackern. Nach einer Weile waren wieder Stühle da und ein Bett und danach ein Fenster.
    Sie ist in guten Händen, sagten sie. Bei Leuten, die dafür geeignet sind. Du bist nicht geeignet, aber du willst ihr Bestes. Nicht wahr?
    Sie zeigten mir ein Foto von ihr, auf dem sie draußen, auf einem Rasen stand, ihr Gesicht ein geschlossenes Oval. Ihr helles Haar war straff nach hinten gekämmt. Eine Frau, die ich nicht kannte, hielt sie an der Hand. Sie reichte der Frau gerade nur bis zum Ellbogen.
    Ihr habt sie umgebracht, sage ich. Sie sah aus wie ein Engel, feierlich, kompakt, ein Luftgebilde.
    Sie trug ein Kleid, das ich nie gesehen hatte. Es war weiß und reichte bis zum Boden.
     
    Ich würde gern glauben, daß ich nur eine

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