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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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meinem Zimmer?
    Ich habe es meins genannt.
     

Kapitel neun
    Mein Zimmer also. Es muß schließlich irgendeinen Raum geben, den ich als meinen beanspruchen kann, selbst in dieser Zeit.
    Ich warte, warte in meinem Zimmer, das in diesem Moment ein Wartezimmer ist. Wenn ich mich schlafen lege, ist es ein Schlafzimmer. Die Gardinen beben noch in dem leichten Lufthauch, draußen scheint noch die Sonne, wenn auch nicht direkt ins Fenster. Sie ist nach Westen gewandert. Ich versuche, keine Geschichten zu erzählen, oder jedenfalls nicht diese.
     
    Jemand hat vor mir in diesem Zimmer gewohnt. Eine Frau wie ich, oder vielmehr möchte ich das glauben.
    Ich entdeckte es drei Tage, nachdem ich hierher versetzt wurde.
    Ich hatte mir eine Menge Zeit zu vertreiben. So beschloß ich, das Zimmer zu erkunden. Nicht in aller Eile, wie man ein Hotelzimmer erkundet, in dem man keine Überraschungen erwartet: man zieht die Schreibtischschubladen auf und schiebt sie wieder zu, öffnet und schließt die Schranktüren, packt die kleinen, einzeln verpackten Seifenstückchen aus, prüft die Kissen. Ob ich je wieder in einem Hotelzimmer sein werde? Wie ich sie verschwendet habe, diese Zimmer, dieses Befreitsein vom Gesehenwerden.
    Gemietete Freiheit.
    An den Nachmittagen, damals, als Luke noch auf der Flucht vor seiner Frau war, als ich noch ein Phantasiegebilde für ihn war. Ehe wir heirateten und ich mich verfestigte. Ich war immer zuerst da, bezog das Zimmer. Es war gar nicht so oft, aber jetzt kommt es mir vor wie ein Jahrzehnt, wie ein Zeitalter. Ich kann mich daran erinnern, was ich anhatte, an jede Bluse, an jedes Tuch. Ich ging auf und ab, während ich auf ihn wartete, drehte den Fernsehapparat an und wieder aus, tupfte mir Parfüm hinter die Ohrläppchen. Opium hieß es. Es war in einem chinesischen Fläschchen, rot und golden.
    Ich war nervös. Wie wollte ich wissen, ob er mich wirklich liebte? Vielleicht war es nur eine Affäre. Warum sagten wir eigentlich »nur«? Schließlich probierten zu jener Zeit die Männer und Frauen einander an, lässig, wie Anzüge oder Kleider, und wiesen zurück, was nicht paßte.
    Dann kam das Klopfen an der Tür und ich öffnete, erleichtert, voller Begehren. Er war so flüchtig, so dicht gedrängt. Und doch schien kein Ende an ihm. Wir lagen in diesen Nachmittagsbetten, danach, einer die Hände auf dem andern, und sprachen darüber. Möglich, unmöglich. Was sollten wir tun? Wir glaubten, wir hätten furchtbare Probleme. Wie sollten wir wissen, daß wir glücklich waren?
    Aber jetzt vermisse ich schon die Zimmer selbst, sogar die schrecklichen Gemälde, die an den Wänden hingen, Landschaften mit Herbstlaub oder schmelzendem Schnee in Laubbäumen, oder Frauen in historischen Gewändern mit Porzellanpuppengesichtern und Tournüren und Sonnenschirmen, oder Clowns mit traurigen Augen, oder Schalen mit steif und kreidig aussehendem Obst. Die frischen Handtücher bereit zum Beflecktwerden, die Papierkörbe, die, einladend offen, den sorglosen Abfall in sich hereinwinkten. Sorglos. Ich war sorglos in diesen Zimmern. Ich konnte den Telefonhörer abnehmen und Speisen erschienen auf einem Tablett, Speisen, die ich ausgewählt hatte. Speisen, die ungesund waren, gewiß, und ebensolche Getränke. In den Nachttischschubladen lagen Bibeln, von irgendeiner wohltätigen Gesellschaft dort hineingelegt, obwohl wahrscheinlich niemand viel darin las. Es gab auch Postkarten, mit Fotos von dem Hotel darauf, und auf diese Postkarten konnte man schreiben, und man konnte sie schicken, an wen man wollte. Jetzt erscheint das ganz und gar unmöglich, wie irgend etwas Erfundenes.
    Ich erkundete also dieses Zimmer, nicht in aller Eile wie ein Hotelzimmer, nicht großzügig. Ich wollte nicht alles auf einmal hinter mich bringen, es sollte länger reichen. Ich unterteilte das Zimmer in Gedanken in Zonen, und ich gestand mir eine Zone pro Tag zu. Diese eine Zone untersuchte ich mit der allergrößten Genauigkeit: die Unebenheit des Gipses unter der Tapete, die Kratzer in der Farbe an den Fußleisten und auf dem Fensterbrett, unter der obersten Farbschicht, die Flecken auf der Matratze, denn ich ging so weit, die Decken und Laken vom Bett zu lüften und sie zurückzuschlagen, ein kleines Stückchen nach dem andern, damit ich sie schneller wieder hinlegen konnte, falls jemand kam.
    Die Flecken auf der Matratze. Wie getrocknete Blütenblätter. Nicht frisch. Alte Liebe; eine andere Liebe gibt es nicht mehr in diesem Zimmer.
    Als ich

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