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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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nicht ganz aufgeregt, sie ist dick wie eine Tonne, ich wette, du kannst es kaum erwarten.
    Noch etwas Tee? Vorsichtiger Themawechsel.
    Ich weiß schon, was sich da abspielt.
    Und Janine, oben in ihrem Zimmer, was tut sie? Sitzt noch mit dem Zuckergeschmack im Mund da und leckt sich die Lippen. Starrt aus dem Fenster. Atmet ein und aus. Streichelt ihre geschwollenen Brüste. Denkt an nichts.
     

Kapitel zwanzig
    Die Haupttreppe ist breiter als unsere, mit einem geschwungenen Geländer zu beiden Seiten. Von oben höre ich schon den Singsang der Frauen, die bereits da sind. Wir gehen die Treppe hinauf, im Gänsemarsch, sorgfältig darauf bedacht, einander nicht auf den schleppenden Kleidersaum zu treten. Die Flügeltüren zum Eßzimmer links sind zur Seite geklappt, und ich sehe drinnen den langen weißgedeckten Tisch, auf dem ein Buffet aufgebaut ist: Schinken, Käse, Orangen – sie haben Orangen! – und frisch gebackenes Brot und Kuchen. Wir für unser Teil werden später, auf einem Tablett, Milch und belegte Schnitten bekommen. Aber sie haben eine Kaffeemaschine und Weinflaschen, denn warum sollten sich die Ehefrauen an einem so triumphalen Tag nicht ein wenig besäuseln? Zuerst werden sie das Ergebnis abwarten, und dann werden sie sich austoben. Jetzt sind sie im Wohnzimmer auf der anderen Seite der Treppe versammelt und feuern die Frau dieses Kommandanten an, die Ehefrau von Warren. Eine kleine dünne Frau, sie liegt auf dem Boden in einem weißen Baumwollnachthemd, ihr ergrauendes Haar breitet sich wie Mehltau über dem Teppich aus; sie massieren ihr den winzigen Bauch, so als sei sie wirklich im Begriff, selbst zu gebären.
    Der Kommandant ist natürlich nirgendwo zu sehen. Er ist dort, wohin sich die Männer bei solchen Gelegenheiten zurückziehen, in irgend einem Versteck. Wahrscheinlich ist er schon dabei, sich auszurechnen, wann seine Beförderung ausgesprochen werden wird, falls alles gut geht. Er ist jetzt fest davon überzeugt, daß er befördert wird.
    Deswarren ist im ehelichen Schlafzimmer, welch schöner Name:  dort, wo der Kommandant und seine Ehefrau sich nächtlich zum Schlaf betten. Sie sitzt auf dem breiten Luxusbett der beiden, von Kissen gestützt: Janine, aufgeblasen und doch reduziert, ihres früheren Namens beraubt. Sie trägt ein weißes Hemd, das über ihre Schenkel hochgerutscht ist; ihr langes schmutzigblondes Haar ist zurückgekämmt und im Nacken zusammengebunden, damit es nicht im Weg ist. Sie hat die Augenlider zusammengepreßt, und so, wie sie da liegt, kann ich sie fast gern haben. Schließlich ist sie eine von uns – was hat sie je anders gewollt, als ihr Leben so angenehm wie möglich zu leben? Was sonst hätte jede von uns gewollt? Am Ende zählt doch nur, was möglich ist. Und unter den gegebenen Umständen hat sie es nicht schlecht gemacht.
    Zwei Frauen, die ich nicht kenne, stehen zu beiden Seiten des Bettes und halten ihre Hände umklammert, oder sie hält die der Frauen. Eine dritte hebt das Nachthemd hoch, träufelt Babyöl auf ihren Hügelbauch, massiert nach unten hin. Zu ihren Füßen sitzt Tante Elisabeth in ihrem Khakikleid mit den militärischen Brusttaschen; sie war unsere Lehrerin für Gyn-Erz. Ich sehe von ihr nur den Kopf, das Profil, aber ich weiß, daß sie es ist, ich erkenne sie an der Himmelfahrtsnase und an dem hübschen, aber strengen Kinn. Neben ihr steht der Gebärstuhl mit dem Doppelsitz – der hintere erhebt sich wie ein Thron über den anderen. Sie werden Janine erst draufsetzen, wenn es soweit ist. Die Decken liegen bereit, das kleine Wännchen zum Baden, die Schale mit dem Eis zum Lutschen für Janine.
    Die übrigen Frauen sitzen im Schneidersitz auf dem Teppich; es ist eine ganze Schar, alle aus diesem Wohnbezirk haben hierzusein. Es sind ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig. Nicht jeder Kommandant hat eine Magd: manche ihrer Ehefrauen bekommen selbst Kinder. Eine jegliche, sagt der Spruch, nach ihrem Vermögen; ein jeglicher wie er bedarf. Das mußten wir immer aufsagen, dreimal, nach dem Essen. Es war ein Spruch aus der Bibel, sagten sie jedenfalls. Wieder Paulus, in der Apostelgeschichte.
    Ihr seid eine Übergangsgeneration, sagte Tante Lydia. Für euch ist es am schwersten. Wir wissen, welche Opfer von euch erwartet werden. Es ist schwer, wenn Männer euch schmähen. Für die, die nach euch kommen, wird es leichter sein. Sie werden ihre Pflichten willigen Herzens auf sich nehmen.
    Sie sagte nicht: Weil sie keine Erinnerung daran haben,

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