Der Report der Magd
von mir erwartet wird. Ich habe ein Ei, was will ich mehr?
Unter eingeschränkten Lebensbedingungen hängt sich der Wunsch zu leben an seltsame Objekte. Ich hätte gern ein Tier – einen Vogel, zum Beispiel, oder eine Katze. Etwas Vertrautes. Irgend etwas auch nur ein wenig Vertrautes. Zur Not würde eine Ratte genügen, aber daran ist gar nicht zu denken. Das Haus ist zu sauber.
Ich schneide mit dem Löffel den obersten Teil des Eis ab und esse den Inhalt.
Während ich das zweite Ei esse, höre ich die Sirene, zuerst weit entfernt, dann windet sie sich zwischen den großen Häusern und den gemähten Rasen hindurch in meine Richtung, ein dünnes Geräusch, wie das Summen eines Insekts; dann sich nähernd, sich öffnend, wie eine Geräuschblume, die sich zu einer Trompete öffnet. Eine Proklamation ist diese Sirene. Ich lege meinen Löffel hin, mein Herz geht schneller, ich gehe wieder zum Fenster: Wird es blau sein, und nicht für mich? Aber ich sehe, wie es um die Ecke biegt, die Straße entlangkommt, vor dem Haus hält, immer noch heulend, und es ist rot. Freude, die aller Welt widerfahren soll, ein seltenes Ereignis heutzutage. Ich lasse das zweite Ei halb aufgegessen stehen, eile zum Schrank, um meinen Umhang zu holen, und schon höre ich Schritte auf der Treppe und die rufenden Stimmen.
»Beeil dich«, sagt Cora, »die warten nicht den ganzen Tag.« Und sie hilft mir mit dem Umhang, sie lächelt sogar.
Ich renne fast den Flur entlang, die Treppe ist wie eine Abfahrt auf Skiern, die Haustür ist weit, heute darf ich sie benutzen, und der Wächter steht salutierend da. Es hat angefangen zu regnen, zu nieseln, und der trächtige Geruch von Erde und Gras erfüllt die Luft.
Das rote Geburtsmobil parkt in der Einfahrt. Die Hintertür ist offen, und ich klettere hinein. Der Teppich auf dem Boden ist rot, rote Vorhänge sind vor die Fenster gezogen. Drei Frauen sitzen schon drinnen, auf den Bänken, die sich zu beiden Seiten durch den Wagen ziehen. Der Wächter schließt die Doppeltür, sperrt sie ab und klettert vorn hinein neben den Fahrer; durch das mit Drahtglas vergitterte Innenfenster sehen wir ihre Köpfe von hinten. Wir fahren mit einem Ruck an, während über uns die Sirene kreischt: Platz da! Platz da!
»Wer ist es?« frage ich die Frau neben mir. Ich rufe es ihr ins Ohr oder dorthin, wo ihr Ohr sein muß unter der weißen Hause. Ich muß fast schreien, so laut ist die Sirene.
»Deswarren«, schreit sie zurück. Impulsiv ergreift sie meine Hand, drückt sie, während wir um die Ecke schleudern. Sie wendet sich mir zu, und ich sehe ihr Gesicht, Tränen laufen ihr die Wangen herunter, aber was sind das für Tränen? Tränen des Neids, der Enttäuschung? Doch nein, sie lacht, sie wirft ihre Arme um mich, ich habe sie noch nie gesehen, sie umarmt mich, sie hat große Brüste unter dem roten Gewand, sie wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. An diesem Tag dürfen wir alles tun, was wir wollen.
Ich berichtige: innerhalb bestimmter Grenzen.
Uns gegenüber auf der anderen Bank betet eine Frau, mit geschlossenen Augen, die Hände zum Mund gehoben. Aber vielleicht betet sie auch gar nicht. Vielleicht kaut sie an ihren Daumennägeln. Möglicherweise versucht sie, sich zu beruhigen. Die dritte Frau ist schon ruhig. Sie sitzt mit verschränkten Armen da, lächelt ein wenig. Die Sirene heult immer weiter. Das war früher der Ton des Todes, wie ihn Krankenwagen und Feuerwehr benutzten. Wer weiß, vielleicht wird es auch heute der Ton des Todes sein. Bald werden wir es wissen. Was wird Deswarren gebären? Ein Baby, wie wir alle hoffen? Oder etwas anderes, ein Unbaby, mit Stecknadelkopf oder einer Hundeschnauze oder mit zwei Körpern oder mit einem Loch im Herzen oder ohne Arme oder mit Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen? Keiner kann es voraussagen. Früher ließ es sich vorhersagen, mit Hilfe von Instrumenten, aber das ist jetzt gesetzlich verboten. Was würde es auch nützen, wenn man es wüßte? Man darf es sich nicht herausnehmen lassen – was es auch ist, es muß ausgetragen werden.
Die Chancen stehen eins zu vier, das haben wir im Zentrum gelernt. Die Luft hat sich einst angereichert, mit chemischen Stoffen, mit Strahlen, mit Radioaktivität, das Wasser wimmelte von giftigen Molekülen, es dauert Jahre, all das zu bereinigen, und bis dahin kriecht es in unsere Körper, lagert sich in unseren Fettzellen ab. Wer weiß, vielleicht ist unser Fleisch schon verschmutzt, schmutzig wie ein Strand
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