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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Frauen zu machen. Nicht daß dein Vater nicht ein netter Kerl gewesen wäre und alles, was du willst, aber er hat einfach nicht zum Vatersein getaugt. Was ich auch gar nicht von ihm erwartet habe. Tu jetzt deine männliche Pflicht, dann kannst du dich trollen, hab ich gesagt, ich hab' ein ordentliches Gehalt, ich kann mir ein Tagesheim leisten. Da ist er dann ans Meer gezogen und hat immer zu Weihnachten eine Karte geschickt. Dabei hatte er wunderschöne blaue Augen. Aber irgend etwas fehlt ihnen, auch den netteren. So, als wären sie ständig geistesabwesend, als könnten sie sich nicht mehr genau daran erinnern, wer sie sind. Sie starren zu viel in die Luft. Sie verlieren den Kontakt mit ihren Füßen. Mit Frauen sind sie nicht zu vergleichen, außer daß sie besser Autos reparieren und Football spielen können – genau das, was wir für den Aufschwung der menschlichen Rasse brauchen, nicht?
    Das war die Art, wie sie redete, auch in Lukes Gegenwart. Ihm machte es nichts aus, er zog sie auf, indem er sich als Macho gab und erklärte, Frauen seien unfähig, abstrakt zu denken, und dann goß sie sich noch ein Glas ein und grinste ihn an.
    Chauvi-Schwein, sagte sie.
    Ist sie nicht drollig, sagte Luke dann zu mir, und meine Mutter blickte schlau, fast verschlagen in die Runde.
    Ich habe ein Recht darauf, sagte sie. Ich bin alt genug, ich hab mein Teil getan, es ist an der Zeit für mich, drollig zu sein. Du bist ja noch feucht hinter den Ohren. Ferkel hätte ich eigentlich sagen müssen!
    Und du, sagte sie dann zu mir, du bist schlicht reaktionär! Reines Strohfeuer. Die Geschichte wird mich freisprechen.
    Aber solche Sachen sagte sie immer erst nach dem dritten Drink.
    Ihr jungen Leute, ihr wißt nichts mehr zu schätzen, sagte sie. Ihr wißt nicht, was wir durchmachen mußten, nur um euch so weit zu kriegen, wir ihr jetzt seid. Schau ihn dir an, wie er da die Möhren schnippelt. Du weißt wohl gar nicht, wie viele Frauenleben, wie viele Frauenkörper die Panzer erst einmal überrollen mußten, damit es wenigstens so weit kommen konnte?
    Kochen ist mein Hobby, sagte Luke dann. Es macht mir Spaß.
    Hobby – Schmobby, sagte meine Mutter. Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Es hat Zeiten gegeben, da hättest du so ein Hobby gar nicht haben dürfen, da hätten sie dich als schwul bezeichnet.
    Na, Mutter, sagte ich. Wir wollen doch nicht wegen nichts und wieder nichts Streit anfangen.
    Nichts und wieder nichts, sagte sie erbittert. Du nennst das nichts und wieder nichts. Du hast doch keine Ahnung, wirklich! Du hast doch keine Ahnung, wovon ich rede.
    Manchmal weinte sie sogar. Ich war immer so allein, sagte sie. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie allein ich war. Dabei hatte ich Freunde, ich war ja noch glücklich dran, aber trotzdem war ich so allein.
    Ich bewunderte meine Mutter in mancher Hinsicht, obwohl es zwischen uns nie ganz leicht war. Ich hatte das Gefühl, daß sie zu viel von mir erwartete. Sie erwartete, daß ich ihr Leben und die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, vor ihr rechtfertigte. Ich aber wollte kein Leben nach ihren Bedingungen führen. Ich wollte nicht das vorbildliche Kind sein, die Inkarnation ihrer Ideen. Und darüber stritten wir uns oft. Ich bin nicht die Rechtfertigung für deine Existenz! sagte ich einmal zu ihr.
    Ich möchte sie wiederhaben. Ich möchte alles wiederhaben, so wie es war. Aber es nützt nichts, dieses Wünschen.
     

Kapitel einundzwanzig
    Es ist heiß hier drinnen und zu laut. Die Stimmen der Frauen steigen rings um mich auf, ein leiser Singsang, der mir trotzdem zu laut ist, nach den vielen Tagen der Stille. In der Zimmerecke liegt ein blutbeflecktes Laken, zusammengewickelt und dorthingeworfen, vom Blasensprung. Ich hatte es zuerst nicht gesehen.
    Außerdem riecht es hier im Zimmer, die Luft ist stickig, sie sollten ein Fenster öffnen. Es ist der Geruch unserer eigenen Körper, ein organischer Geruch, Schweiß, mit einem Hauch von Eisen, von dem Blut auf dem Laken, und noch ein anderer Geruch, animalischer, der von Janine kommt, kommen muß: es riecht nach Fuchsbau, nach bewohnten Höhlen, es riecht wie die Wolldecke auf dem Bett, als die Katze darauf ihre Jungen bekam, damals, bevor sie sterilisiert wurde. Geruch nach Mutterboden.
    »Und einatmen«, singen wir, wie es uns gelehrt wurde. »Anhalten, anhalten. Und ausatmen, ausatmen.« Wir singen immer und zählen dabei bis fünf. Fünf Schläge lang einatmen, fünf anhalten, und fünf Schläge lang

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