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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Maschinengewehren. Wegen der Flügel um mein Gesicht sehe ich die Flutlichtscheinwerfer und die Bunker nicht. Aber ich weiß, daß sie da sind.
    Hinter der Sperre, neben dem schmalen Durchgang, warten zwei Männer auf uns. Sie tragen die grünen Uniformen der Wächter des Glaubens, mit den Wappen auf den Schulterklappen und den Baretts: zwei gekreuzte Schwerter über einem weißen Dreieck. Die Wächter des Glaubens sind keine richtigen Soldaten. Sie werden für Routinekontrollen und andere untergeordnete Aufgaben eingesetzt. Zum Beispiel graben sie den Garten der Frau des Kommandanten um. Sie sind entweder dumm oder älter oder Invaliden oder sehr jung, abgesehen von denen, die in Wirklichkeit AUGEN sind.
    Diese beiden sind sehr jung: Der Schnurrbart des einen ist noch spärlich, das Gesicht des anderen noch picklig. Ihre Jugend ist rührend, aber ich weiß, daß ich mich dadurch nicht täuschen lassen darf. Die jungen sind oft die gefährlichsten, die fanatischsten, die fahrigsten mit ihren Schußwaffen. Sie haben noch nichts über die Kunst des Überdauerns gelernt. Man muß sich mit ihnen Zeit lassen.
    Letzte Woche haben sie eine Frau erschossen, ziemlich genau an dieser Stelle. Es war eine Martha. Sie suchte in ihrem Gewand nach ihrem Paß, und sie dachten, sie suche nach einer Bombe. Sie dachten, sie sei ein als Frau verkleideter Mann. Dergleichen ist schon vorgekommen.
    Rita und Cora kannten die Frau. Ich habe gehört, wie sie in der Küche darüber sprachen.
    Sie tun ja ihre Pflicht, sagte Cora. Sorgen für unsere Sicherheit.
    Nichts ist sicherer, als tot zu sein, sagte Rita zornig. Sie hat sich immer nur um ihren eigenen Kram gekümmert. Kein Grund, sie zu erschießen.
    Es war ein Unfall, sagte Cora.
    So was gibt's nicht, sagte Rita. Alles ist Absicht. Ich hörte, wie sie mit den Töpfen im Spülbecken klapperte.
    Immerhin, bevor einer dieses Haus in die Luft jagt, wird er es sich zweimal überlegen, sagte Cora.
    Einerlei, sagte Rita und klapperte heftig mit den Töpfen. Das war ein schlechter Tod.
    Ich kann mir einen schlimmeren vorstellen, sagte Cora. Wenigstens ging es schnell.
    Das kann man wohl sagen, sagte Rita. Ich hätte lieber ein bißchen Zeit vorher, versteht du? Um meine Angelegenheiten zu regeln.
     
    Die beiden jungen Wächter grüßen uns, indem sie drei Finger an den Rand ihres Baretts heben – Zeichen der Anerkennung, die man uns gewährt. Sie haben Respekt zu bekunden, wegen der Art unseres Dienstes.
    Wir ziehen unsere Pässe hervor, aus den Reißverschlußtaschen in unseren weiten Ärmeln, und sie werden inspiziert und gestempelt. Einer der Männer geht in den Bunker auf der rechten Seite, um unsere Nummern in den Compuchek einzugeben.
    Als er mir meinen Paß zurückgibt, senkt der mit dem pfirsichfarbenen Schnurrbart den Kopf und versucht, einen Blick auf mein Gesicht zu werfen. Ich hebe den Kopf ein wenig, um ihm zu helfen, und er sieht meine Augen, und ich sehe seine, und er wird rot. Sein Gesicht ist schmal und kummervoll wie das eines Schafs, aber er hat die großen runden Augen eines Hundes, eher eines Spaniels als eines Terriers. Seine Haut ist bleich und sieht ungesund zart aus, wie die neue Haut unter Schorf. Trotzdem stelle ich mir vor, ich legte die Hand darauf, auf dieses entblößte Gesicht. Er ist derjenige, der sich abwendet.
    Es ist ein Ereignis, ein kleiner Verstoß gegen die Regeln, so klein, daß er nicht zu entdecken ist, aber solche Momente sind die Belohnungen, die ich für mich selbst bereithalte, wie die Süßigkeiten, die ich als Kind hinten in der Schublade hortete. Solche Momente sind Möglichkeiten, winzige Gucklöcher.
    Was, wenn ich nachts käme, wenn er allein Dienst macht – obwohl man ihm diese Art Einsamkeit nie zugestehen würde –, und ich ihn hinter meine weißen Flügel ließe? Was, wenn ich meine rote Hülle abschälte und mich ihm zeigte, ihnen, im undeutlichen Licht der Laternen? Dergleichen müssen sie sich doch zuweilen vorstellen, wenn sie endlos an dieser Sperre stehen, hinter die niemand gelangt, nur die Beherrscher der Gläubigen in ihren langen schwarzen summenden Autos oder ihre blauen Ehefrauen und weißverschleierten Töchter auf ihren genormten Wegen zu Errettungen oder Betvaganzen, oder ihre unförmigen grünen Marthas oder, gelegentlich, das Geburtsmobil oder ihre roten Mägde zu Fuß. Oder manchmal ein schwarz angemalter Gefangenenwagen mit dem geflügelten Auge in Weiß an der Seite. Die Fenster der Gefangenenwagen sind dunkel

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