Der Report der Magd
gekommen ist, reicht seine Gutscheine hinüber, den beiden Männern in Wächteruniform, die auf der anderen Seite stehen. Niemand sagt viel, aber es herrscht ein ständiges Geraschel, und die Köpfe der Frauen bewegen sich verstohlen von einer Seite zur anderen: Hier, beim Einkaufen, könnte man jemanden sehen, den man kennt, jemanden, den man aus der Zeit davor kennt oder vom Roten Zentrum. Allein schon der flüchtige Anblick eines solchen Gesichts bedeutet Ermutigung. Wenn ich doch Moira sähe, sie nur sähe und wüßte, daß sie noch lebt. Eine Freundin zu haben, das ist jetzt kaum mehr vorstellbar.
Desglen neben mir schaut nicht umher. Vielleicht kennt sie niemanden mehr. Vielleicht sind sie alle spurlos verschwunden, die Frauen, die sie gekannt hat. Vielleicht will sie auch nicht gesehen werden. Sie steht schweigend da, den Kopf gesenkt.
Während wir in unserer Zweierreihe warten, öffnet sich die Tür und zwei weitere Frauen kommen herein, beide in den roten Kleidern und mit den weißen Flügeln der Mägde. Die eine ist hochschwanger; ihr Bauch schwillt unter ihrem weiten Gewand, triumphierend. Eine Bewegung geht durch den Raum, ein Murmeln, ein bewunderndes Ausatmen; unwillkürlich wenden wir die Köpfe, unverhohlen, um besser zu sehen; in unseren Fingern kribbelt das Verlangen, sie zu berühren. Sie ist für uns eine magische Erscheinung, ein Gegenstand des Neides und der Begierde, es gelüstet uns nach ihr. Sie ist eine Fahne auf einer Bergspitze, die uns zeigt, was noch erreicht werden kann: Auch wir können gerettet werden.
Die Frauen in dem Laden flüstern, reden fast laut, so groß ist ihre Aufregung.
»Wer ist das?« höre ich hinter mir fragen.
»Deswayne. Nein. Deswarren.«
»Angeberin«, zischt eine Stimme, und es stimmt: Eine Frau, die so schwanger ist, braucht nicht auszugehen, braucht nicht einzukaufen. Der tägliche Spaziergang zur Betätigung der Bauchmuskeln ist nicht mehr Vorschrift. Sie braucht nur noch die Bodenübungen und die Atemgymnastik zu machen. Sie könnte zu Hause bleiben. Es ist sogar gefährlich für sie, auszugehen, wahrscheinlich steht ein Wächter draußen und wartet auf sie. Jetzt, als Trägerin neuen Lebens, ist sie dem Tod näher und bedarf besonderer Sicherheitsvorkehrungen. Eifersucht könnte ihr übel mitspielen, das ist schon vorgekommen. Alle Kinder sind jetzt erwünscht, wenn auch nicht von allen.
Aber vielleicht ist der Spaziergang eine Laune von ihr, und sie tolerieren Launen, wenn die Dinge so weit gediehen sind und es bisher keine Fehlgeburt gegeben hat. Vielleicht ist sie aber auch eine von den Märtyrerinnen: Ladet nur alles auf mich, ich will es tragen. Ich kann einen kurzen Blick in ihr Gesicht werfen, als sie es hebt, um sich umzusehen. Die Stimme hinter mir hatte recht. Sie ist gekommen, um sich zur Schau zu stellen. Sie glüht, sie ist rosig, sie genießt jede Sekunde.
»Ruhe!« sagt einer der Wächter hinter dem Ladentisch, und wir verstummen wie Schulmädchen.
Desglen und ich haben den Ladentisch erreicht. Wir reichen unsere Gutscheine hinüber, und der eine Wächter gibt die Zahlen, die darauf stehen, in den Compubite ein, während der andere uns die Waren aushändigt, die Milch, die Eier. Wir packen sie in unsere Körbe und gehen wieder hinaus, vorbei an der Schwangeren und an ihrer Begleiterin, die neben ihr spindeldürr und geschrumpft aussieht, wie wir alle. Der Bauch der Schwangeren ist wie eine riesige Frucht. Nudeldick – ein Wort aus meiner Kindheit. Ihre Hände ruhen darauf, als wollten sie ihn schützen, oder als nähmen sie etwas daraus in sich auf, Wärme und Kraft.
Als ich an ihr vorbeigehe, sieht sie mir voll ins Gesicht, sieht mir in die Augen, und jetzt weiß ich, wer sie ist. Sie war mit mir im Roten Zentrum, eine von Tante Lydias Lieblingen. Ich konnte sie nicht leiden. In der Zeit davor hieß sie Janine.
Janine also blickt mich an, und um ihre Mundwinkel spielt der Anflug eines Grinsens. Sie schaut nach unten, dorthin, wo mein Bauch flach unter meinem roten Gewand liegt, und schon bedecken die Flügel wieder ihr Gesicht. Ich sehe nur noch ein Stück von ihrer Stirn und die rötliche Spitze ihrer Nase.
Als nächstes gehen wir zu Alles Fleisch. Als Ladenschild hängt ein großes hölzernes Schweinekotelett an zwei Ketten über dem Eingang. Hier wartet keine so lange Schlange: Fleisch ist teuer, und auch die Kommandanten essen nicht jeden Tag Fleisch. Desglen allerdings bekommt Steaks – schon das zweite Mal in dieser
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