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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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sobald er weiß, daß ich ihn gesehen habe, fährt er ein letztes Mal mit dem Polierleder über den Whirlwind und geht dann rasch in Richtung der Garagentür.
    Ich gehe über den Kies, zwischen den übergrünen Rasenflächen. Serena Joy sitzt auf ihrem Stuhl unter der Weide, den Stock an den Ellbogen gelehnt. Ihr Kleid ist aus frischer kühler Baumwolle. Ihre Farbe ist blau, ein Wasserfarbenblau, nicht dieses Rot wie bei mir, das die Hitze ansaugt und gleichzeitig vor Hitze glüht. Ihr Profil ist mir zugewandt, sie strickt. Wie kann sie es ertragen, bei dieser Hitze die Wolle zu berühren? Aber möglicherweise ist ihre Haut taub geworden; möglicherweise spürt sie gar nichts, wie jemand, der sich früher einmal verbrüht hat.
    Ich senke die Augen auf den Weg, gleite an ihr vorbei, in der Hoffnung, unsichtbar zu sein, in der Gewißheit, unbeachtet zu bleiben. Doch diesmal kommt es anders.
    »Desfred«, sagt sie.
    Ich halte unsicher inne.
    »Ja, du.«
    Ich wende ihr meinen scheuklappenbewehrten Blick zu.
    »Komm herüber. Ich brauche dich.«
    Ich gehe übers Gras und stehe vor ihr, blicke zu Boden.
    »Du kannst dich setzen«, sagt sie. »Hier, nimm das Kissen. Ich brauche dich, damit du mir die Wolle hältst.« Sie hat eine Zigarette, der Aschenbecher steht auf dem Rasen neben ihr, und eine Tasse mit etwas, Tee oder Kaffee. »Es ist verdammt schwül da drinnen. Man braucht ein wenig Luft«, sagt sie. Ich setze mich, stelle meinen Korb ab, wieder Erdbeeren, wieder Hähnchen, und mir fällt das »verdammt« auf, das ist etwas Neues. Sie legt mir den Wollstrang über meine ausgestreckten Hände und fängt an, die Wolle aufzuwickeln. Ich bin an die Leine gelegt, so sieht es aus, mit Handschellen gefesselt. Ich bin von Spinnweben umgarnt – das kommt der Sache näher. Die Wolle ist grau und hat Feuchtigkeit aus der Luft aufgesogen, sie ist wie eine naßgemachte Babydecke und riecht leicht nach feuchten Schafen. Wenigstens bekommen meine Hände so etwas Lanolin ab. Serena wickelt, die Zigarette im Mundwinkel, wo sie schwelt und verführerischen Rauch aussendet. Sie wickelt langsam und schwerfällig, wegen ihrer allmählich verkrüppelnden Hände, aber entschlossen. Vielleicht muß sie zum Stricken eine gewisse Willenskraft aufbieten, vielleicht tut es ihr sogar weh. Vielleicht ist es ihr aber auch vom Arzt verschrieben: zehn Reihen am Tag glatt rechts, zehn Reihen kraus. Obwohl sie bestimmt noch mehr strickt. Ich sehe jetzt die immergrünen Bäume und die geometrischen Jungen und Mädchen in einem neuen Licht: Beweis ihrer Hartnäckigkeit, und nicht gänzlich verachtenswert.
     
    Meine Mutter hat nie gestrickt oder andere Handarbeiten gemacht. Aber immer, wenn sie Kleider von der Reinigung abholte, ihre guten Blusen, Wintermäntel, hob sie die Sicherheitsnadeln auf und machte eine Kette daraus. Dann steckte sie die Kette irgendwohin, an ihr Bett, an das Kopfkissen, an einen Stuhlrücken, an den Topflappen in der Küche – um sie nicht zu verlieren. Dann vergaß sie sie. Ich fand sie, hier und da im Haus, in den verschiedenen Häusern; Spuren ihrer Gegenwart, Überbleibsel einer vergessenen Absicht, wie Wegweiser an einer Straße, die am Ende doch nirgendwohin führt. Rückschritte in die Häuslichkeit.
     
    »Und?« sagt Serena. Sie hört auf zu wickeln, und ich sitze mit von Tierhaaren umwundenen Händen da, während sie die Zigarettenkippe aus dem Mund nimmt, um sie auszudrücken. »Noch nichts?«
    Ich weiß, wovon sie spricht. Es gibt nicht viele Themen, über die wir sprechen könnten. Wir haben nicht viel gemeinsam, ausgenommen diese mysteriöse, dem Zufall unterworfene Sache.
    »Nein«, sage ich. »Nichts.«
    »Zu schade«, sagt sie. Es ist schwer, sie sich mit einem Baby vorzustellen. Aber hauptsächlich würden sich ja die Marthas darum kümmern. Trotzdem sähe sie mich gern schwanger, ein für alle Mal und dann Schluß und weg, keine demütigenden verschwitzten Knäuel mehr, keine Dreiecke aus Körpern mehr unter ihrem sternenbesäten Baldachin mit den Silberblumen. Friede und Ruhe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie aus irgendeinem anderen Grund mir dieses Glück wünschen würde.
    »Deine Zeit geht zu Ende«, sagt sie. Keine Frage, eine Tatsache.
    »Ja«, sage ich unbeteiligt.
    Sie zündet sich wieder eine Zigarette an, müht sich mit dem Feuerzeug ab. Ihre Hände werden deutlich schlimmer. Aber es wäre ein Fehler, ihr anzubieten, es für sie zu tun, sie würde sich beleidigt fühlen. Ein Fehler, eine

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