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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Schwäche bei ihr zu bemerken.
    »Vielleicht kann er nicht«, sagt sie.
    Ich weiß nicht, wen sie meint. Meint sie den Kommandanten oder Gott? Wenn sie Gott meint, müßte sie sagen: »will er nicht«. So oder so, es ist ketzerisch. Es gibt nur Frauen, die nicht können, die hartnäckig geschlossen bleiben, die schadhaft sind, defekt.
    »Mag sein«, sage ich. »Vielleicht kann er nicht.«
    Ich schaue zu ihr auf. Sie schaut herunter. Zum erstenmal seit sehr langer Zeit sehen wir einander in die Augen. Seit wir uns zum erstenmal begegneten. Der Augenblick dehnt sich zwischen uns, kahl und gerade. Sie versucht zu erkennen, ob ich der Realität ins Auge sehen kann oder nicht.
    »Vielleicht«, sagt sie, und hält die Zigarette in der Hand, die anzuzünden ihr nicht gelungen ist. »Vielleicht solltest du es anders versuchen.«
    Meint sie auf allen vieren? »Wie anders?« frage ich. Ich muß ernst bleiben.
    »Mit einem anderen Mann«, sagt sie.
    »Sie wissen doch, daß ich das nicht darf«, sage ich, darauf bedacht, mir meine Gereiztheit nicht anmerken zu lassen. »Es ist gegen das Gesetz. Sie wissen, welche Strafe darauf steht.«
    »Ja«, sagt sie. Sie ist darauf vorbereitet, sie hat es durchdacht. »Ich weiß, daß du es offiziell nicht darfst. Aber es kommt vor. Frauen tun es häufig. Ständig.«
    »Mit Ärzten, meinen Sie?« frage ich und denke an die teilnahmsvollen braunen Augen, die handschuhlose Hand. Als ich das letzte Mal hinging, war es ein anderer Arzt. Vielleicht hat jemand den früheren erwischt, oder eine Frau hat ihn angezeigt. Nicht daß sie einer Frau glauben würden, ohne Beweise.
    »Manche tun das«, sagt sie, jetzt in fast leutseligem Ton, wenn auch distanziert. Es ist, als sprächen wir über die Wahl eines Nagellacks. »So hat Deswarren es gemacht. Die Ehefrau wußte es natürlich.« Sie hält inne, um ihre Worte wirken zu lassen. »Ich würde dir helfen. Ich würde aufpassen, daß nichts schiefgeht.«
    Ich denke darüber nach. »Nicht mit einem Arzt«, sage ich.
    »Nein«, stimmt sie zu, und zumindest diesen Augenblick lang sind wir Busenfreundinnen, dies könnte ein Küchentisch sein, und das Gespräch könnte sich um eine Verabredung mit einem Jungen drehen, um ein Backfischkomplott voller List und Liebelei. »Manchmal erpressen sie einen. Aber es braucht kein Arzt zu sein. Es könnte jemand sein, dem wir vertrauen.«
    »Wer?« frage ich.
    »Ich hatte an Nick gedacht«, sagt sie, und ihre Stimme klingt fast sanft. »Er ist schon so lange bei uns. Er ist loyal. Ich könnte es mit ihm verabreden.«
    Er ist es also, der die kleinen Schwarzmarktbesorgungen für sie macht. Ist dies der Lohn, den er immer bekommt, als Gegengabe?
    »Und der Kommandant?« frage ich.
    »Nun«, sagt sie mit Bestimmtheit – nein, mehr als das, mit einem geballten Blick, wie eine Handtasche, die zuschnappt. »Wir erzählen es ihm einfach nicht, nicht wahr?«
    Der Gedanke hängt zwischen uns, fast sichtbar, fast greifbar: schwer, formlos, dunkel; eine Art geheimes Einverständnis, eine Art Betrug. Sie will das Kind wirklich.
    »Es ist ein Risiko«, sage ich. »Mehr als das.« Mein Leben steht auf dem Spiel; aber früher oder später wird es ohnehin auf dem Spiel stehen, auf diese oder jene Weise, ob ich es tue oder nicht. Das wissen wir beide.
    »Dann kannst du es ebensogut tun«, sagt sie – genau das, was ich auch denke.
    »Gut«, sage ich. »Ja«.
    Sie beugt sich vor. »Vielleicht kann ich dir etwas besorgen«, sagt sie. Dafür, daß ich brav gewesen bin. »Etwas, was du gern haben möchtest«, fügt sie hinzu, fast schmeichelnd.
    »Was denn?« frage ich. Ich kann mir nichts denken, was ich wirklich möchte und was sie mir geben würde oder könnte.
    »Ein Bild«, sagt sie, als böte sie mir irgendeine Kinderbelohnung an, ein Eis oder einen Zoobesuch. Ich schaue noch einmal zu ihr hoch, verwirrt.
    »Von ihr«, sagt sie. »Deinem kleinen Mädchen. Aber nur vielleicht.«
    Dann weiß sie also, wo sie sie hingebracht haben, wo sie sie versteckt halten. Sie weiß es schon die ganze Zeit. Etwas würgt in meiner Kehle. Dieses Miststück, mir das nicht zu sagen, mir keine Nachrichten zu bringen, nichts. Und sich nicht einmal zu verplappern. Sie ist aus Holz, oder aus Eisen, sie kann sich so etwas nicht vorstellen. Aber das darf ich nicht sagen, ich darf nichts aus dem Auge verlieren, nicht einmal eine solche Kleinigkeit. Ich darf die Hoffnung nicht fahren lassen. Ich darf nicht sprechen.
    Sie lächelt doch tatsächlich und sogar

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