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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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laufen.
    Hier gibt es keine Stühle. Unsere Seite ist mit einem seidig glänzenden gedrehten scharlachroten Seil abgesperrt, wie man sie früher in Kinos hatte, um die Besucher zurückzuhalten. Dieses Seil trennt uns ab, isoliert uns, bewahrt die anderen vor Ansteckung durch uns, schafft einen Korral für uns oder einen Pferch. Also marschieren wir hinein, stellen uns in Reihen auf, was wir sehr gut können, und knien uns dann auf den Betonboden.
    »Geh möglichst weit nach hinten«, murmelt Desglen an meiner Seite. »Da können wir besser reden.« Und als wir mit leicht gebeugtem Kopf knien, höre ich rings um uns ein Surren wie das Rascheln von Insekten in hohem trockenem Gras: eine Wolke von Gewisper. Hier können wir freier Nachrichten austauschen, sie weitergeben von einer zur anderen. Es ist schwer für sie, eine einzelne von uns herauszuholen oder zu verstehen, was gesagt wird. Und sie würden auch die Zeremonie nicht unterbrechen wollen, nicht vor den Fernsehkameras.
    Desglen stößt mich mit dem Ellbogen in die Seite, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, und ich schaue hoch, langsam und verstohlen. Von dem Platz, an dem wir knien, haben wir eine gute Sicht auf den Eingang zum Hof, wo ständig Leute hereinströmen. Sie muß Janine gemeint haben, die ich sehen sollte, denn dort kommt sie, zusammen mit einer neuen Frau, nicht der früheren, einer, die ich nicht erkenne. Janine muß also in einen anderen Haushalt versetzt worden sein, an eine neue Stelle. Es ist ziemlich früh dafür, ist vielleicht irgend etwas schiefgegangen mit ihrer Milch? Das wäre der einzige Grund, aus dem man sie versetzen würde, es sei denn, es hätte Kämpfe um das Baby gegeben, was öfter vorkommt, als man denken sollte. Vielleicht hat sie sich, als sie es hatte, geweigert, es wegzugeben. Ich könnte mir das vorstellen. Ihr Körper unter dem roten Kleid wirkt sehr dünn, fast mager, und sie hat auch ihr schwangeres Leuchten verloren. Ihr Gesicht ist weiß und spitz, als wäre ihr das Blut ausgesogen worden.
    »Es war nicht gut, verstehst du«, sagt Desglen dicht neben meinem Kopf. »Es war ein Baby für den Reißwolf.«
    Sie meint Janines Baby, das Baby, das durch Janine hindurchging auf seinem Weg irgendwo anders hin. Das Baby Angela. Es war falsch, ihm so früh einen Namen zu geben. Ich spüre eine Übelkeit in der Magengrube. Nicht eine Übelkeit, eine Leere. Ich will nicht wissen, was mit ihm nicht in Ordnung war. »Mein Gott«, sage ich. Das alles durchzumachen, für nichts und wieder nichts. Schlimmer als für nichts und wieder nichts.
    »Es ist schon ihr zweites«, sagt Desglen. »Wenn man ihr eigenes, von früher, nicht zählt. Sie hatte eine Fehlgeburt im achten Monat, wußtest du das nicht?«
    Wir beobachten, wie Janine das mit dem Seil abgesperrte Gebiet betritt, mit ihrem Schleier der Unberührbarkeit, des Pechs. Sie sieht mich, sie muß mich sehen, aber sie sieht durch mich hindurch. Ohne ein triumphierendes Lächeln diesmal. Sie dreht sich um, kniet nieder, und jetzt sehe ich nur noch ihren Rücken und die schmalen gebeugten Schultern.
    »Sie glaubt, daß es ihre Schuld ist«, flüstert Desglen. »Zweimal hintereinander. Weil sie sündig gewesen ist. Sie hat einen Arzt benutzt, heißt es. Es war gar nicht von ihrem Kommandanten.«
    Ich darf nicht sagen, daß ich das weiß, sonst wird Desglen sich fragen, woher ich es weiß. Sie ist der Meinung, daß sie meine einzige Quelle für solche Informationen ist, von denen sie eine überraschende Menge besitzt. Wie sie wohl das mit Janine erfahren hat? Durch die Marthas? Janines Einkaufspartnerin? Durch Lauschen an geschlossenen Türen, wenn die Ehefrauen bei Tee und Wein ihre Fäden spinnen? Wird Serena Joy auch so über mich reden, wenn ich das tue, was sie wünscht? Sie war auf der Stelle bereit dazu, es war ihr völlig egal, alles was zwei Beine hat und einen guten ihr-wißt-schon was, kommt der gerade recht. Die sind nicht zimperlich, die haben nicht die gleichen Gefühle wie wir. Und die anderen beugen sich in ihren Sesseln nach vorn: Meine Güte! Ganz Entsetzen und Geilheit. Wie konnte sie nur? Wo? Wann?
    Genau so, wie sie es zweifellos bei Janine angestellt haben. »Das ist schrecklich«, sage ich. Allerdings sieht es Janine ähnlich, daß sie alles auf sich nimmt, daß sie zu dem Schluß kommt, alle Makel des Babys seien allein ihr selbst zuzuschreiben. Aber die Menschen geben eben nicht gern zu, daß ihr Leben keine Bedeutung hat. Oder vielmehr keinen Sinn. Keinen

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