Der Report der Magd
wiederholt. Wohltuend für das Auge, die Augen, die AUGEN, denn ihnen gilt diese Show.
Wir sind unterwegs zur Betvaganza, um zu demonstrieren, wie gehorsam und fromm wir sind.
Nicht ein Löwenzahn ist hier zu sehen, die Rasenflächen sind sauber ausgestochen. Ich sehne mich nach einem, nur einem: wertlos und geradezu unverschämt willkürlich und schwer ausrottbar und Jahr um Jahr gelb wie die Sonne. Fröhlich und plebejisch, für alle gleichermaßen leuchtend. Ringe machten wir aus ihnen, und Kronen und Ketten, Flecken von der bitteren Milch an unseren Fingern. Oder ich hielt ihr eine Blüte ans Kinn: Magst du Butter? Und wenn sie dann daran roch, hatte sie Pollen an der Nase. (Oder waren das die Butterblumen?) Oder wenn sie sich in Samen verwandelt hatten: ich sehe sie noch vor mir, wie sie über den Rasen lief, den Rasen hier direkt vor mir, zwei oder drei Jahre alt, und eine Pusteblume schwenkte, wie eine Wunderkerze, einen kleinen Stab weißen Feuers, während die Luft sich mit winzigen Fallschirmen füllte. Löwenzahn, ach sag mir doch, wieviel Jahre leb ich noch? All die Jahre, die mit dem Sommerlüftchen fortgeblasen werden. Wenn es um Liebe ging, waren es allerdings Gänseblümchen, das spielten wir auch.
Wir stellen uns auf, um uns am Kontrollpunkt abfertigen zu lassen, immer zwei und zwei und zwei, wie Schülerinnen einer privaten Mädchenschule, die spazierengegangen und zu lange ausgeblieben sind. Viele Jahre zu lange, so daß alles überwuchert ist, Beine, Körper, Kleider, alles miteinander. Wie verzaubert. Ein Märchen – würde ich gern glauben.
Doch wir werden durchgelassen, in unseren Zweierreihen, und gehen weiter.
Nach einer Weile biegen wir nach rechts ab und gehen an Lilien vorbei und hinunter zum Fluß. Ich wünschte, ich könnte ganz bis ans Wasser gehen, dorthin, wo die breiten Uferböschungen sind, wo wir in der Sonne lagen, wo die Brücken sich hinüberwölben. Wenn wir lange genug am Fluß entlanggingen und seinen sehnigen Windungen folgten, kämen wir ans Meer. Aber was könnten wir dort tun? Muscheln sammeln, uns auf öligen Steinen rekeln.
Wir gehen jedoch nicht zum Fluß, wir werden nicht die kleinen Kuppeln der Gebäude an dem Weg dort unten sehen, weiß mit blauen und goldenen Rändchen, welch eine keusche Fröhlichkeit! Wir biegen bei einem moderneren Gebäude ab. Über dem Portal ist ein riesiges Spruchband drapiert: HEUTE FRAUEN-BETVAGANZA! Das Spruchband verdeckt den früheren Namen des Gebäudes, den Namen eines toten Präsidenten, der erschossen wurde. Unter der roten Schrift befindet sich eine Zeile in kleineren, schwarzen Druckbuchstaben, mit der Silhouette eines geflügelten Auges zu beiden Seiten: GOTT IST EINE NATIONALE ENERGIEQUELLE. Zu beiden Seiten des Eingangs stehen die unvermeidlichen Wächter, zwei Paare, also vier insgesamt, mit Waffen an den Hüften, die Augen geradeaus gerichtet. Sie sehen fast wie Schaufensterpuppen aus mit ihrem ordentlich gekämmten Haar, ihren gebügelten Uniformen und den gipsharten jungen Gesichtern. Keine pickligen heute. Jedem hängt ein Maschinengewehr griffbereit über der Schulter – für die gefährlichen oder subversiven Akte, die wir ihrer Meinung nach drinnen begehen könnten.
Die Betvaganza soll auf dem überdachten Hof abgehalten werden. Es ist ein rechteckiger Platz mit einem Oberlicht als Dach. Es ist keine stadtweite Betvaganza – die fände auf einem Football-Platz statt. Es ist eine Betvaganza für diesen Bezirk. Reihen hölzerner Klappstühle sind an der rechten Seite aufgestellt worden, für die Ehefrauen und die Töchter der höheren Beamten oder Offiziere – so viele Unterschiede gibt es da nicht. Die Galerien darüber mit ihren Betonbrüstungen sind für die niedriger rangierenden Frauen, die Marthas, die Ökonofrauen in ihren vielfarbig gestreiften Kleidern. Die Anwesenheit bei den Betvaganzas ist für sie keine Pflicht, insbesondere dann nicht, wenn sie im Dienst sind oder kleine Kinder haben. Aber die Galerien scheinen sich trotzdem zu füllen. Ich nehme an, für sie ist es eine Form der Unterhaltung, wie eine Show oder ein Zirkus.
Etliche Ehefrauen sitzen bereits, in ihren besten bestickten blauen Kleidern. Wir spüren ihre auf uns gerichteten Augen, als wir in unseren roten Kleidern, immer zu zweit, zu der Seite ihnen gegenüber gehen. Wir werden betrachtet, taxiert, über uns wird geflüstert: Wir spüren es – wie winzige Ameisen, die über unsere nackte Haut
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