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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Frauen hatten Probleme, sagt er. Das größte Problem hatten die Männer. Für sie blieb nichts mehr.
    Nichts? sage ich. Aber sie hatten doch…
    Es gab nichts für sie zu tun, sagt er.
    Sie konnten immerhin Geld verdienen, sage ich, eine Spur gehässig. Jetzt, in diesem Augenblick habe ich keine Angst vor ihm. Es ist schwer, vor einem Mann Angst zu haben, der dasitzt und dir zusieht, wie du dich mit Handlotion einreibst. Dieses Fehlen von Furcht ist gefährlich.
    Das ist nicht genug, sagt er. Das ist zu abstrakt. Ich meine, es gab einfach nichts, was sie mit Frauen anfangen konnten.
    Was soll das heißen? frage ich. Und was war mit all den Pornoecken? Die gab es doch auf Schritt und Tritt, man hatte sie sogar motorisiert.
    Ich spreche nicht von Sex, sagt er. Das war mit ein Grund: der Sex war zu einfach. Jeder konnte ihn kaufen. Es gab nichts, wofür man arbeiten, nichts, wofür man kämpfen mußte. Wir haben die Statistiken aus der Zeit damals. Weißt du, worüber sie sich am meisten beklagten? Über die Unfähigkeit, etwas zu empfinden. Die Männer hatten sogar von Sex die Nase voll. Sie hatten die Nase voll von der Ehe.
    Und können sie jetzt etwas empfinden? frage ich.
    Ja, sagt er und schaut mich an. Das können sie. Er steht auf, kommt um den Schreibtisch herum zu dem Stuhl, auf dem ich sitze. Er legt seine Hände auf meine Schultern, von hinten. Ich kann ihn nicht sehen.
    Ich möchte gern wissen, was du denkst, sagt seine Stimme hinter mir.
    Ich denke nicht viel, sage ich leichthin. Er möchte gern Intimität, aber die kann ich ihm nicht geben.
    Es hat nicht viel Sinn, daß ich denke, nicht wahr? sage ich. Was ich denke, zählt nicht.
    Was der einzige Grund ist, warum er mir seine Geschichten erzählen kann.
    Nun komm schon, sagt er und drückt ein wenig mit den Händen. Mich interessiert deine Meinung. Du bist intelligent, du mußt doch eine Meinung haben.
    Worüber? frage ich.
    Über das, was wir getan haben. Wie die Dinge sich entwickelt haben.
    Ich zwinge mich, ganz ruhig zu bleiben. Ich versuche, alle meine Gedanken zu verscheuchen. Ich denke an den Himmel, bei Nacht, wenn der Mond nicht scheint. Ich habe keine Meinung, sage ich.
    Er seufzt, lockert den Griff seiner Hände, läßt sie aber auf meinen Schultern. Er weiß schon, was ich denke.
    Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen, sagt er. Wir dachten, wir könnten es besser machen.
    Besser? sage ich mit leiser Stimme. Wie kann er glauben, daß dies besser sei?
    Besser bedeutet nie, besser für alle, sagt er. Es bedeutet immer, schlechter für manche.
     
    Ich liege flach, die feuchte Luft über mir ist wie ein Deckel. Wie Erde. Ich wünschte, es würde regnen. Noch besser ein Gewitter, schwarze   Wolken,   Blitze,   ohrenbetäubendes   Krachen.   Der Strom würde vielleicht ausfallen. Dann könnte ich hinuntergehen, in die Küche, sagen, daß ich Angst habe, mit Rita und Cora am Küchentisch sitzen, sie würden meine Angst zulassen, da es eine Angst ist, die sie teilen, sie würden mich ins Vertrauen ziehen. Kerzen würden brennen, wir würden beobachten, wie unsere Gesichter im Flackern kämen und wieder vergingen, im weißen Aufblitzen des gezackten Lichts draußen vor dem Fenster. O Herr, würde Cora sagen. O Herr, errette uns.
    Danach würde die Luft klar sein, und leichter.
    Ich schaue zur Decke hinaus, zu dem runden Kreis aus Stuckblumen. Zeichne einen Kreis, stell dich hinein, und er wird dich beschützen. Von der Mitte hing der Kronleuchter herab, und von dem Kronleuchter ein zusammengedrehtes Stück Bettlaken. Dort schwang sie, ganz leicht, wie ein Pendel; so wie du als Kind schwingen konntest, die Hände an einen Ast geklammert. Da war sie schon in Sicherheit, beschirmt und beschützt, als Cora die Tür öffnete. Manchmal denke ich, sie ist noch hier drinnen, bei mir.
    Ich komme mir begraben vor.
     

Kapitel dreiunddreißig
    Später Nachmittag, der Himmel trüb, das Sonnenlicht diffus, aber lastend und allgegenwärtig, wie Bronzestaub. Ich gleite mit Desglen den Bürgersteig entlang; wir beide, und vor uns noch ein Paar, und auf der anderen Straßenseite noch eines. Wir müssen aus der Ferne hübsch aussehen: malerisch, wie holländische Milchmädchen auf einem Tapetenfries, wie ein Bord voller Salz- und Pfefferstreuer aus Keramik, Gestalten in Kostümen aus verschiedenen Zeiten, wie eine Flottille von Schwänen oder von irgend etwas anderem, was sich doch immerhin mit einem Minimum an Anmut und ohne Abweichung

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