Der Retter von Dent-All
pastellfarbener Schmetterling und wedelte sacht mit den Flügeldecken.
Die Klimaanlage, dachte Judy.
Die Hofkutsche kam in einer gepolsterten Kammer zum Stehen, und die Ehrenwache ließ die Tragfäden los. Judy stieg vorsichtig aus. Doch was sie für ein dünnes Gespinst gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein zähes, festes Gewebe. Es federte angenehm wie ein dicker Teppich unter ihren Füßen. Es war wirklich ein Vergnügen, über so einen wippenden Boden zu gehen. Trach wäre allerdings schon beim ersten Schritt eingebrochen.
Der gelbe Schmetterling schritt als Führer voran und geleitete Judy in den Thronsaal. Schlanke Säulen verzweigten sich zu einem domartigen Netz hoch über ihrem
Kopf, und die Möbel bestanden allesamt aus gehärteter Seide.
Auf dem mächtigen und doch zerbrechlich wirkenden Thron saß der Herrscher dieses Planeten und des Imperiums von Lepidop.
Der Monarch war uralt. Sein Körper war steif und schuppenhäutig, die Fühler schlaff und die Flügel greisenhaft pergamentartig. Wäre der Schmetterlingsmonarch ein Mensch gewesen, hätte sie sein Alter auf mindestens achtzig Jahre geschätzt. Sie wußte sofort, daß diese Schmetterling keine Zähne mehr haben konnte.
Warum hatte er dann einen zahntechnischen Assistenten angefordert?
»Treten Sie näher, meine Liebe!« flüsterte der Monarch, und das Übersetzungsgerät übermittelte korrekt alle gütigen und autoritären Unter- und Obertöne.
Judy ging auf den Thron zu, beeindruckt von der Würde und dem Alter dieses Schmetterlings. Kein Wunder, daß Trach um das Leben dieses Monarchen so besorgt war. Schon das Sprechen mußte für diesen Greis eine lebensverkürzende Anstrengung sein.
»Sie kümmern sich um die Zähne?«
»Jawohl, Eure Majestät.«
»Und Sie haben Erfahrung mit...« hier legte der Monarch eine Pause ein, um wieder Atem zu schöpfen... »Schmetterlingskiefern?«
»Auf meiner Welt haben die Schmetterlinge keine Zähne.«
»Interessant. Auf Lepidop haben die Affen auch kein Zähne.«
Der Monarch lachte — eher ein Röcheln, selbst in der Übersetzung. »Aber ich nehme an, auf Ihrer Welt gibt es wahrscheinlich genausowenig echte Schmetterlinge, wie
es hier echte Affen gibt (Schnaufer, Schnaufer). Nur ein Vergleich (schnaufender Atemzug), um sich besser verständlich zu machen.«
Judy stimmte ihm nur zu gern zu. Dieser Monarch war nicht dumm. Ein schroffes Wesen war er bestimmt nicht. Seine Schwäche bestand eher darin, daß er sich bei der höflichen Konversation zu sehr verausgabte.
»Entlassen!« knurrte der Monarch.
Zwei purpurfarbene Schmetterlinge drängten Judy hastig aus dem Thronsaal.
»Er wird sofort ausfallend, wenn man ihm widerspricht«, raunte der eine Höfling Judy zu.
»Aber zum Glück stirbt er bald«, setzte der andere Höfling hinzu.
Das forderte Judys Gerechtigkeitssinn heraus. »Unterlassen Sie das!« meinte sie gereizt. »Ich halte ihn für einen sehr netten alten Schmetterling. Sie sollten nicht so häßliche Dinge hinter seinem Rücken sagen.«
Die beiden Höflinge kicherten. Judy war sich bewußt, daß sie sich mit ihrer Kritik nur lächerlich gemacht hatte. Bei einem Schmetterlingsrücken gab es kein >Hinten<, sondern nur ein >Darüber<. Damit hatte der Tadel irgendwie die Wirkung verloren. Trach hatte sie vor Palastintrigen gewarnt. Sie mußte in Zukunft vorsichtiger sein, wenn sie sich nicht noch lächerlicher machen und in eine Intrige hineinziehen lassen wollte.
Am nächsten Tag empfing der Monarch Miss Judy zum zweitenmal in Audienz. Er war diesmal viel leutseliger als am Tag zuvor. Judy vermutete, daß die Höflinge ihm ihre Antwort von gestern beflissen hinterbracht hatten. Sie hatte zwar spontan gesprochen; aber nur zum Vorteil des
Monarchen. Solche Kleinigkeiten waren manchmal von entscheidender Bedeutung. Das wußte sie aus der Praxis als Sprechstundenhilfe.
Trotzdem hatte der Monarch immer noch keine Zähne. Weshalb hatte er sie dann hierher an den Hof geladen? Judy spielte verwirrt mit ihrer Instrumententasche. Was hatte er eigentlich mit ihr vor?
»Meine Liebe, ich bewundere Ihren Mut (Schnaufer). Die Gäste an meinem Hof singen meistens ein Loblied auf mich (Schnaufer), wenn sie vor meinen Fühlern stehen (Schnaufer), doch sie verhöhnen mich dann hinter meinen Flügeln. Darf ich Sie zu einer Reise (Schnaufer) in meine Vergangenheit einladen?«
»Eure Majestät — ich verstehe nicht ganz...«
»Ich bin jetzt zweiundvierzig Jahre alt«, sagte der Schmetterling.
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