Der Retuscheur
Durst.
Man brauchte nur zur nötigen Zeit am nötigen Ort zu erscheinen, und für ein, zwei, in Ausnahmefällen auch drei Flaschen brachte man in seinen Besitz, wofür man sonst jahrelang arbeiten musste.
Meine Porträts fanden langsam Anerkennung. Ohne die »Linhof«-Technik hätte ich nicht einen Bruchteil des Erfolges erreicht, der mir in den letzten Jahren beschieden war. Dann tat sich die Goldgrube mit den Mädchen auf: Wer hätte noch vor fünf, sechs Jahren geahnt, dass man für eine Aktaufnahme ein Honorar in harter Währung bekommen würde statt drei Jahre mit Vermögenseinziehung.
Drittes Kapitel
Ein Fotostudio habe ich übrigens keineswegs immer besessen.
Zum ersten Mal, ganz kurze Zeit, konnte ich nach meiner ersten Heirat in einem Studio arbeiten: Der Vater, genauer gesagt, der Stiefvater meiner ersten Frau war ein total versoffener Bildhauer. Seinerzeit gehätschelt, Schöpfer von zahlreichen Monumenten, Gedenkstätten und Denkmälern bedeutender Persönlichkeiten, hatte er völlig abgebaut. Längst zu nichts mehr fähig, verschmähte er selbst Aufträge für Standbilder von doppelt zu Helden gekürten Leuten nicht.
Unter seinen in jeder Beziehung unfertigen Monstren machte ich meine ersten Versuche mit guter Technik. Die Kälte im Atelier des Säufers war grässlich, zudem der Gestank nach Tischlerleim nicht wegzukriegen. Ich fror, meine Schwiegermutter aber sparte Holz. Ins Haus zu gehen und mich aufzuwärmen – Haus und Atelier befanden sich in Krasnaja Pachra, außerdem gab es eine Wohnung in Moskau, ein Haus in Gursuf und eine Haushälfte bei Kaliningrad an der Ostsee – widerstrebte mir: Meine Schwiegermutter führte sich auf wie die reinste Megäre, und mir dämmerte, dass mein Vater recht gehabt hatte mit seiner tiefsinnigen Feststellung: »Erst mal muss man sich immer die Mutter der Frau ansehen, die man heiraten will!«
Geld verdiente ich keins, ich saß im gemachten Nest und fotografierte ehemalige Modelle meines alkoholsüchtigen Schwiegervaters, die, ebenso alkoholsüchtig, in der Hoffnung auf ein Glas Portwein aus alter Gewohnheit im Studio aufkreuzten. Mit einer von ihnen wurde ich auch intim, und meine erste Ehe ging genauso schnell in die Brüche, wie sie geschlossen worden war: Vor der Hochzeit hatten wir uns nicht einmal einen Monat gekannt – begegnet waren wir uns in irgendeiner Gesellschaft –, zusammen blieben wir zweieinhalb, freilich ohne uns täglich zu sehen –, ich fror in Krasnaja Pachra, während meine Frau, vom Studium der Wirtschaftswissenschaften erschöpft, häufig in der Moskauer Wohnung übernachtete.
Viele Jahre später erfuhr ich von Wolochow, den ich zufällig bei einer Ausstellung in der Manege traf, wie sich das weitere Schicksal meiner ersten Frau gefügt hatte. Gleich nach der Scheidung hatte sie sich, im sechsten Monat schwanger, wiederverheiratet und das Kind in den Vereinigten Staaten zur Welt gebracht, wohin sie mit ihrem neuen Mann ausgereist war und wo Wolochow, zu der Zeit ein vielversprechender Auslandskorrespondent, in Wirklichkeit aber wahrscheinlich ein verkappter Spion, sein entbehrungsreiches Wirken begann.
»Dein Kind?«, fragte Wolochow.
Ich zuckte die Schultern, und Wolochow bemerkte, ein Trost sei die automatisch erlangte Staatsangehörigkeit des Kindes.
»Junge? Mädchen?«, wollte ich wissen.
»Junge«, erwiderte Wolochow.
»Sieht er mir ähnlich?«
»Der Blick ist eindeutig deiner. Genauso suchend …«
Ich bemühte mich, mir das Gesicht meiner ersten Frau ins Gedächtnis zu rufen. Vergebens.
Anscheinend spiegelte sich die Anstrengung in meinem Gesicht: Wolochow verzog mitfühlend den Mund, klopfte mir auf die Schulter und ging weiter.
Für lange Jahre musste ich meinen Traum von einem eigenen Studio aufgeben. Erst zum Ende der seligen Perestroika-Zeit, nach endloser Plackerei in dem Verlag, in dem mein Vater rackerte, bei der Zeitung und für Auslandsagenturen begann er Wirklichkeit zu werden.
Einige Kontakte meines Vaters, und zwar solche, von denen es am wenigsten zu erwarten gewesen war, hatten sich erhalten. Er rief an und sagte:
»Du fährst zur Kreisbetriebsverwaltung 12, dort fragst du nach Galina. Sie weiß Bescheid. Das Geld habe ich bezahlt.«
»Wie viel?«, fragte ich für alle Fälle.
Mein Vater lachte:
»Wir werden uns schon einigen!«
Ich fuhr hin und fragte mich zu Galina durch.
»Mhm!«, sagte sie, und wir machten uns auf zur Besichtigung der Räumlichkeiten. Eine gründliche Renovierung
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