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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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war erforderlich, doch die Investition sollte sich bezahlt machen.
    Und dann, an einem Maiabend, fuhren in den Hof des alten u-förmigen Wohnblocks, der mit seiner ramponierten Fassade nach der Uferstraße ging, mit dem linken Flügel nach einer stillen Gasse und mit dem rechten nach einer ziemlich belebten Straße, durch die Toreinfahrt zwei Lastwagen. In das alte Haus zog ein neuer Mieter ein. Dieser Mieter war ich.
    Galina – weswegen sich diese verkrümmte Frau meinem Vater verpflichtet gefühlt hatte, erfuhr ich nie – setzte mich über die im Haus herrschenden Stimmungen ins Bild, erzählte mir eine Menge Klatsch. Ihrer Darstellung zufolge gingen die Meinungen der Hausbewohner zu meinem Einzug auseinander.
    Die überwiegende Mehrheit fand, dass ich zu ausgeflippt sei. Nach dem Tod des Hauswarts – Rufat, der wieder einmal die Schlüssel verloren hatte, war bei zwanzig Grad minus auf der Bank am Hauseingang eingeschlafen – hatte allerdings niemand Anspruch auf die Wohnung erhoben. Erstens wussten alle, dass in sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein neuer Hauswart einziehen würde. Zweitens erinnerten sich alle an Rufats Söhne, Nil und Rais, die derzeit – Nil für fünf, Rais für sieben lange Jahre – wegen fortwährender Straftaten im Knast zu Hause waren, aber angekündigt hatten, zurückzukehren und was ihnen zustand auf keinen Fall jemand anders zu überlassen. Drittens war es völlig unmöglich, in Rufats Zimmern zu wohnen, und für die Renovierung hatte keiner der Mieter das nötige Geld. Das Haus war nicht gerade komfortabel, lag aber direkt im Zentrum.
    Die Renovierung deichselte ich schnell, doch kurz vor ihrem Abschluss, als noch ganze drei Tage blieben, starben die beiden alten Frauen in der Wohnung gegenüber. Ich kam auf die Idee, deswegen mit Galina zu reden, sie sagte mir, wer zu schmieren war – meinen Vater wollte ich lieber aus dem Spiel lassen –, und ehe man sich’s versah, hatte ich mich praktisch über das ganze Erdgeschoss ausgedehnt.
    Damit erreichte die Renovierung ein neues, höheres Niveau, und schon Ende Mai verfügte ich über ein tolles Appartement mit Studio, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer. Durch eine im Treppenhaus eingezogene Trennwand wohnte ich separat, außerdem hatte ich einen Durchbruch machen lassen, und durch die eingebaute Tür gelangte ich über eine kleine Vortreppe zu einer grünen Hofanlage mit Linden. Eine ganze Brigade arbeitete für mich, ich konnte mich darauf beschränken, sie anzuleiten und laufend zu beköstigen.
    Nachdem ich endgültig eingezogen war – übrigens habe ich das Gefühl, dass seitdem nicht anderthalb Monate vergangen sind, sondern eine ganze Ewigkeit –, veranstaltete ich eine Einzugsfeier, zu der ich auch Galina einlud. Angetrunken, klärte sie mich – worum ich sie gar nicht gebeten hatte, mich interessierte es im Grunde einen feuchten Kehricht, wer mich mochte und wer nicht – über die definitive Kräftekonstellation in meinem neuen Haus auf. Wie sich herausstellte, gab es drei verschieden große Mietergruppen: Die erste, mittelgroße, war mir nicht grün, die zweite, kleinste, sympathisierte mit mir, der dritten, größten, war alles piepegal.
    So hat es eigentlich auch zu sein: Die Mehrheit sollte der Sumpf bilden!
    Echtes Wohlwollen brachten mir nur drei Leute entgegen: Andronkina aus Wohnung neun, eine herrische Frau, die in einer »Nummerfabrik« {2} als stellvertretende Abteilungsleiterin arbeitete, ein hagerer Exflieger mit einer Haltung, als hätte er ein Lineal verschluckt, der bei jedem Wetter eine fesch aufs Ohr gesetzte Baskenmütze trug und sich gern auf eine Bank in der Grünanlage gegenüber meiner Vortreppe setzte, um Zeitung zu lesen, und eine schrullige Frau, die eine sonderbare Einzimmerwohnung mit Fenster allein in der Küche hatte. Die Schrullige, eine stattliche Dame mit formlosem Gesicht, die eine unglaubliche Zahl von Sprachen beherrschte, aber als Kassiererin im Laden »Ozean« arbeitete, sagte einmal zu Galina:
    »Wir haben großes Glück, dass er in unser Haus gezogen ist. Es ist besser, solche wenigstens hin und wieder zu Gesicht zu bekommen. Sonst kann man sich auf ein Unglück gefasst machen! Aber trotzdem entgeht man dem Unglück nicht!«
    Was die Ozean-Kassiererin damit meinte, begriff Galina nicht. Ich erst recht nicht.
    Eingeladen waren nur wenige, doch rückte ein ganzer Pulk uneingeladen an. Irgendwelche Dämchen mit Kavalieren und ohne neidische Kollegen. Im Mittelpunkt des

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