Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
Vom Netzwerk:
sollte oder nicht, tat es dann aber doch.
    »Was ist denn noch?«, fragte ich.
    Kulagin war wie verändert.
    »Genosse, hast du schon an ihrem Auftrag gearbeitet?«, erkundigte er sich.
    »Nein«, erwiderte ich.
    »Genosse, ich habe dich nie angetrieben, bitte dich jetzt aber sehr darum – erledige das schnell. Wenigstens sie. Ihr Foto ist das schlechteste. Erledige es schnellstmöglich. Heute. Gleich.«
    »Ich mache es! Heute!« Ich knallte den Hörer auf den Apparat, nahm die Fernbedienung vom Tisch, richtete sie auf die an der Wand stehende Stereoanlage, drückte »Power«, dann »Play«.
    Nichts tat sich.
    Ich drückte noch einmal »Play«. Wieder nichts.
    Da stand ich auf und ging, unterwegs eine Lampe nach der anderen einschaltend, zu der Anlage. Auf der Musiktruhe lag ein Zettel: »Ich habe meine CDs mitgenommen. Sie gehören übrigens nicht mir. Entschuldige. Alina.«
    Ich hockte mich vor die Truhe, öffnete die Glastür, nahm ein paar CDs heraus, drückte eine Taste auf dem Player, legte die CDs auf die ausgefahrene Platte. Die Lampen wieder löschend, kehrte ich zu meinem Arbeitstisch zurück und setzte mich.
    Vor mir war das Negativ mit den zwei entfernten Personen.
    Ich nahm einen Stift und machte mich daran, Details des »aufgenommenen« Interieurs einzufügen, mit der Linken griff ich dabei nach der Fernbedienung, richtete sie auf die Anlage und drückte auf den Knopf.
    Ich nahm an, gleich irgendwelchen Rock ’n’ Roll zu hören zu bekommen, doch was erklang, war Mozart.
     
    Minajewa rief an, als ich gerade mit dem Hintergrund fertig war und damit anfing, Details des Interieurs zu rekonstruieren. Sie rief aus dem Hotel an und lag offenkundig auf einem breiten Hotelbett, im Morgenrock, mit zur Wand hochgestreckten Beinen.
    »Ich habe mir Ihren Vorschlag überlegt«, sagte sie. »Wenn Sie es so gern möchten, können Sie noch ein paar Fotos von mir machen.«
    »Mir scheint, das möchten Sie gern«, sagte ich.
    »Frecher Kerl!« Sie lachte, und ich hörte, dass sie sich eine Zigarette anzündete. »Ihr Fotografen seid solche Frechlinge!«
    »Nicht verallgemeinern!«, bat ich.
    »Gut, dann nicht.« Sie stieß Rauch aus. »Na schön, möchte ich es eben, aber eine Frau daran zu erinnern! Wir sollten uns treffen! Ich fühle mich so einsam! Sie haben mich heiß gemacht und vor die Tür gesetzt! So was tut man nicht!«
    Ich sah auf die Uhr: halb zwei. Nachmittags oder nachts?, fragte ich mich plötzlich. Und ich fragte sie: »Was ist jetzt, Tag oder Nacht?«
    »Sie haben sich überarbeitet, Sie Ärmster!«, sagte sie. »Jetzt ist Nacht. Tiefe Nacht. Also, wer kommt zu wem? Sie zu mir oder ich …?«
    »Weder noch.« Ich nahm Minajewas Foto und das Negativ aus dem Kuvert und legte beide nebeneinander. »Ich mache Ihr Foto fertig und zeige es Ihnen morgen, wenn wir uns sehen.«
    »Nein, heute schon. Wissen Sie, was ich mir überlegt habe?«
    »Was denn?«, fragte ich, obwohl es mich einen Dreck interessierte, was sie für Überlegungen anstellte.
    Ich hörte Wasser rauschen: Anscheinend war sie mit dem Telefon ins Badezimmer hinübergewechselt.
    »Wenn Sie ein Meister Ihres Faches sind, dann werden Sie auch im Bett gut sein. Ich möchte mich zu gern davon überzeugen. Wo treffen wir uns also?«
    »In dem Restaurant, in dem Sie mit Kulagin gewesen sind«, sagte ich.
    »Ha!« Das Rauschen wurde lauter, sie war im Begriff, in die Wanne zu steigen. »Hat er angerufen, um sich zu beklagen? Er hat mir nicht gefallen, Ihr Agent. Sehr flink.«
    »Flink? Das ist mir gar nicht aufgefallen!«
    »Na schön«, eine Diskussion über Kulagin lag nicht in ihrer Absicht. »Heute Abend in diesem Restaurant. Sie bestellen einen Tisch?«
    »Mache ich«, versprach ich.
    »Wann?«
    »Um neun.«
    »Wie lieb Sie sind!« In dem Moment tauchte sie ein: Ihre Stimme klang beinahe nach Orgasmus. »Bis dann, mein Teurer! Mein Genie!« Sie schmatzte einen lauten Kuss in den Hörer.
    Eine hübsche dumme Gans!
     
    Ich arbeitete, bis ich an meinem Tisch einschlief.
    Ich träumte, wie jemand im Morgengrauen von der Bank in der Grünanlage sich der Vortreppe und meiner Studiotür näherte. Der Traum war so real, dass sogar das Knirschen des Kieses auf dem Weg zu hören war, ich sah meine Vortreppe gleichsam mit fremden Augen, mit den Augen dessen, der immer näher kam.
    Jetzt machte er ein paar Schritte über den Asphalt. Jetzt stolperte er, stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hervor, begann die Stufen der Vortreppe hochzusteigen, blieb

Weitere Kostenlose Bücher